In diesen Tagen erinnern wir uns an die nationalsozialistischen Bücherverbrennungen, die im Mai vor neunzig Jahren überall in Deutschland stattgefunden haben. Damals, im Frühling 1933, hat kaum jemand wahrhaben wollen, wie existenziell wahr Heinrich Heines Warnung von 1823 sein würde: »Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.«
Wenn aber Gedenken nicht zur leeren Formel erstarren soll, dann müssen wir Heutigen die Geschichte zu verstehen versuchen: um Unterschiede zu erkennen, aber auch verwandte Tendenzen. Das öffentliche Verbrennen von Büchern der bedeutendsten deutschsprachigen Autorinnen und Autoren ihrer Zeit, darunter Thomas und Heinrich Mann, Nelly Sachs, Kurt Tucholsky, Anna Seghers, Erich Kästner und Karl Kraus, schaut uns bis heute an als eine barbarische, kulturlose Tat. Die Täter jedoch, angeführt vom akademischen Nachwuchs der Universitäten, waren überzeugt, das Richtige zu tun. Warum? Weil sie nach Reinheit strebten, in ihrem Fall der Reinheit einer eingebildeten »arischen« deutschen Kultur.
Das ist der Anteil, der uns zur Mahnung bleibt. Bis heute werden Bücher verboten und Autor:innen unterdrückt, aus diesen oder jenen, aber immer aus schlechten Gründen. Die Diktaturen dieser Welt, ob China, Iran, Türkei, Russland oder Uganda, schikanieren ihre Schriftsteller:innen, verhaften, foltern, ermorden sie, oder treiben sie ins Exil. Aber auch in den USA wird gegen Autor:innen gehetzt, werden Bücher aus Schulbibliotheken entfernt, die mit den Augen ausgegrenzter schwarzer oder indigener Menschen auf Amerika blicken oder von geschlechtlicher Vielfalt und Freiheit berichten. In den sozialen Medien werden Andersdenkende diffamiert, argumentlos niedergebrüllt und an den Pranger gestellt.
Ja, Texte können gefährlich sein, auf viele Arten. Aber sie foltern und morden nicht, und sie berauben niemanden der Freiheit. Das tun nur Menschen. Die meisten Texte verhelfen vielmehr zur Freiheit, sogar die schlechten, von denen man sich geistig zu distanzieren lernt. Auch Wörter sind, in längere Texte eingebettet, in den seltensten Fällen Waffen, selbst wenn man sie manchmal erklären muss. »Das Schlimmste, was man mit Worten tun kann, ist sich ihnen ergeben«, schrieb George Orwell.
Erinnern wir uns zum Jahrestag der deutschen Bücherverbrennungen daher daran, dass es niemals ein gut oder ein pur geben kann, sondern höchstens ein weniger schlecht und weniger gelungen. Im besten Fall, wenn wir uns gemeinsam sehr bemühen, gibt es etwas größere Freiheiten und etwas kleinere Beschränkungen. Etwas mehr Menschlichkeit, etwas weniger Hass. Der Weg bleibt das Ziel, denn das jeweilige, sich ständig verändernde Ideal wird keiner von uns je erleben. Die Gedanken und durch sie das Wort, ob gesprochen und geschrieben, müssen so frei wie irgend möglich bleiben und so frei wie irgend erträglich: Das ist die Mahnung und der Auftrag der damals in Deutschland verbrannten Bücher.
Veranstaltungen von und mit PEN Berlin am Mittwoch, 10. Mai:
90 Jahre Bücherverbrennung
Ab 11:30 Uhr, Bebelplatz Berlin – mit Claudia Roth, Meral Şimşek, Nasir Nadeem u.a.
Verratene Freiheit
19 Uhr, Akademie der Künster, Pariser Platz, Berlin – mit Ursula Krechel, Eva Menasse, Jeanine Meerapfel, Thomas Lehr und Ingo Schulze
Exilland Deutschland – Gespräch und Lesung
20:00 Uhr, Waschhaus Potsdam, Schiffbauergasse 6 – mit Yassin al-Haj Saleh, Filipp Dzyadko, Meral Şimşek und Deniz Yücel