Deniz Yücel: »Besser Buchmesse als Menschenjagd« (MZ-Interview)

Interview mit PEN-Berlin-Sprecher Deniz Yücel in der »Mitteldeutschen Zeitung«, 6. November 2025

»Besser Buchmesse als Menschenjagd«

Der Sprecher der Schriftstellervereinigung PEN Berlin, Deniz Yücel, im Interview über die Buchmesse in Halle, die Proteste dagegen und die Meinungsfreiheit im Land 

Interview von Christian Eger

Deniz Yücel
Marlene Gawrisch/Welt

Mehr als 100 Aussteller versammeln sich am Wochenende zur sogenannten »alternativen« Buchmesse »SeitenWechsel« in Halle. Das »Wir«-Festival hält seit Wochen mit zahlreichen Veranstaltungen dagegen. Was ist von all dem zu halten? Mit Deniz Yücel, Sprecher der Schriftstellervereinigung PEN Berlin und Welt-Redakteur, sprach unser Redakteur Christian Eger.

Herr Yücel, am Wochenende findet die „alternative“ Buchmesse »SeitenWechsel« in Halle statt. Ist das gesellschaftlich ein Anlass zur Beunruhigung?

Deniz Yücel: Nein. Eine Buchmesse sollte für niemanden ein Anlass zur Beunruhigung sein. Das widerspricht dem Naturell einer Buchmesse. Unsereins hat ja der extremen Rechten immer vorgehalten, sie sollten mal ein paar Bücher lesen, anstatt nur rumzugrölen. Jetzt kann ich mich nicht daruüber beschweren, wenn einige von ihnen genau dies tun. Besser Buchmesse als Menschenjagd.

Die Messe wird als rechte Buchmesse geführt. Zu Recht?

Ja. Und zwar nicht im alltäglichen – und falschen – Sinn, in dem rechts und rechtsextrem als Synonym verwendet werden. Das ist eine sehr rechte bis rechtsradikale Messe, die da stattfindet.

Woran machen Sie das fest?

An den beteiligten Verlagen. Wir hatten im PEN Berlin diskutiert, ob wir uns den Protesten anschließen sollen, und uns dagegen entschieden, weil es nicht unsere Aufgabe ist, gegen Buchmessen zu protestieren, sondern dann einzuschreiten, wenn das Recht auf Meinung-, Kunst- oder Pressefreiheit eingeschränkt wird, von wem auch immer.

Eine klassische Presseakkreditierung ist in Halle nicht möglich. Ein Besuch ist für die Presse nur unter Aufsicht möglich. Das bestätigt nur meinen Eindruck, dass man Rechtsaußen vor allem die eigene Meinungsfreiheit meint, wenn man von Meinungsfreiheit redet.

2017 und 2018 waren rechte Verlage noch auf den Messen in Leipzig und Frankfurt zu finden. Dann kam es zu Protesten. Ist der Rückzug der Verlage auf eine eigene Messe folgerichtig? Aus deren Perspektive betrachtet: ja. Andererseits: Als PEN Berlin haben wir 2024 in Sachsen, Thüringen und Brandenburg eine Gesprächsreihe zum Thema Demokratie und Meinungsfreiheit organisiert. Selbstverständlich haben wir dazu auch den einen oder anderen Literaten oder Journalisten eingeladen, der rechts von der Brandmauer steht. Von denen hat so gut wie niemand zugesagt.

Zum Beispiel Uwe Tellkamp. Er hätte sich einen Termin aussuchen können. Er sagte ab, angeblich aus Termingründen. Kurz darauf saß er bei Ralf Schuler – vormals Bild, heute Nius und beklagte sich, dass man ihn nirgendwo einladen würde. Herr Schuler war übrigens der Einzige aus diesem Milieu, der unserer Einladung gefolgt ist.

Was zeigt das?

Dass man sich lieber vor dem eigenen Publikum beschwert, als sich vor einem gemischten Publikum der Diskussion zu stellen. Aber auch, dass man am rechten Rand inzwischen eine solche Reichweite aufgebaut hat, dass man die allgemeine Öffentlichkeit nicht mehr braucht. Aber nicht die Messe ist das Problem, sondern das, was sich darin ausdrückt.

Nämlich was?

Dass wir es heute mit einer selbstbewussten, gewachsenen extremen Rechten zu tun haben, die ihre eigenen kulturellen und intellektuellen Ableger hervorgebracht hat. Und die kommen in Halle zur Buchmesse zusammen.

Wie sollte die Öffentlichkeit reagieren? In Halle läuft seit Wochen ein Gegenfestival unter dem Titel »Wir«, das am Wochenende den Höhepunkt erreicht. Ist das die richtige Aktion?

Das kommt auf die Art an, das kann ich nicht beurteilen. Wenn die Leute in Halle das für die richtige Aktion halten, warum nicht? Es gibt aber – und das meine ich allgemein – manchmal eine Neigung zur Überreaktion, die den rechtsextremen Kreisen nutzt und keinen Beitrag zur Bekämpfung des Extremismus leistet. Alice Weidel zum Beispiel hat viel Übung darin, Interviews abzubrechen, wenn ihr die Fragen unangenehm werden. Dass sie ihr Sommer-Interview in der ARD trotz der enormen Geräuschkulisse nicht abbrach, spricht sehr dafür, dass ihr diese Störaktion gelegen kam.

Bei der »SeitenWechsel«-Messe wird alles vertreten sein, was in der rechten Szene Rang und Namen hat: von Antaios bis Nius. Ist das noch eine Messe oder schon eine politische Aktion?

Naja, auch die Frankfurter oder die Leipziger Buchmesse – und das, was wir als PEN Berlin dort als Programm aufbieten – haben einen gesellschaftspolitischen Anspruch. Das Problem ist nicht, dass diese Messe politisch ist, sondern das, wofür sie politisch steht.

Viel beklagt wird dieser Tage die Meinungsfreiheit, die angeblich eingeschränkt sei. Stimmt das?

Kommt darauf an, von wo aus man das betrachtet. Im Vergleich zu Iran, Russland, Türkei oder China ist das in Deutschland selbstverständlich Meinungsfreiheit. Aber nach meinem Dafürhalten ist auch in Deutschland nicht alles makellos. Es gibt auf Seiten der Exekutive bisweilen die Neigung, im Namen einer guten Sache – zum Beispiel dem Kampf gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus oder Rassismus – die Meinungsfreiheit wie das Kleingedruckte auf dem Beipackzettel zu behandeln.

Und wenn in Deutschland eine relative Mehrheit glaubt, dass die Meinungsfreiheit eingeschränkt sei, dann ist das ein Problem für die Demokratie – unabhängig davon, ob man diesem Befund zustimmt oder für komplett eingebildet hält oder was dazwischen. Deshalb haben wir auf unserer PEN-Kundgebung in Klütz nach der Ausladung von Michel Friedman nicht allein unsere Ansichten über die Autonomie der Kultur vertreten, sondern die Kundgebung für eine Diskussion geöffnet. Meinungsfreiheit nicht nur von der Kanzel zu predigen, sondern diese auch erfahrbar zu machen, darum geht es uns immer. So sind wir auch an die Gesprächsreihe im Osten herangegangen: ohne Angst, ohne Verbotsschilder, aber mit Lust auf Rede und Gegenrede.

Sehen Sie Ursachen für die relative Mehrheit in Sachen eingeschränkter Meinungsfreiheit?

Das ist eine Melange. Einerseits ist da eine Exekutive, die zu schnell Verbots- und Strafverfahren auslöst. Andererseits haben wir als Gesellschaft insgesamt Schwierigkeiten, mit Widerspruch umzugehen, den man schnell als unzulässig wertet – übrigens in allen politischen Kreisen: Wer heute leidenschaftlich für Meinungsfreiheit streitet, kommt morgen bei einem anderen Thema mit einem großen „Aber“ – und umgekehrt. Diese dauernde Verwechslung von Meinungsfreiheit und Widerspruchsfreiheit folgt aus der unguten Privatisierung des öffentlichen Raumes: aus dem Glauben, man könne im Internet so sprechen wie im eigenen Wohnzimmer. Aber die sozialen Medien sind kein privater Raum, sondern ein öffentlicher.

Aus Ihrer überregionalen Wahrnehmung: Schadet der Stadt Halle die Messe?

Das ist eine Frage, die seit mehr als 30 Jahren gern aus Ostdeutschland kommt: Schon nach den Pogromen in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen sorgte man sich um das Ansehen der Stadt und wähnte sich als Opfer der Medien, der Politik, wem auch immer, anstatt sich mit der hässlichen Realität auseinanderzusetzen.

Aber hier ist der Fall ein anderer. Ich glaube nicht, dass jemand Halle ankreiden wird, dass dort eine rechtsextreme Buchmesse stattfindet. Und schauen Sie, ich habe mir im vergangenen Jahr ein Auto gekauft – als Rüsselsheimer natürlich einen Opel. Gekauft habe ich den in Halle, auf dem Kennzeichen steht der Name des Autohauses und der Stadt Halle. Das werde ich nicht wegen ein paar Bücher lesenden Rechtsradikalen andern.

 

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