Begrüßung zur Lesung »Nie wieder ist jetzt – Texte gegen Antisemitismus«
Deutsches Theater, Berlin, 10. November 2023
Judenhass ist Hass auf die Freiheit, die Toleranz, die Pluralität
Von Joachim Helfer
Liebe Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen,
seien Sie im Namen von PEN Berlin herzlich willkommen!
Nie wieder seit Ende des zweiten Weltkriegs wurden so viele Jüdinnen und Juden an einem einzigen Tag ermordet wie am 7. Oktober 2023. Die Angreifer metzelten ZivilstInnen wie SoldatInnen, Kinder wie Alte, säkulare wie fromme Juden. Der Angriff galt dem Staat Israel als Ganzem, den die Hamas vernichten will. Die Reaktion des deutschen Staates war klar: Deutschland steht an der Seite des angegriffenen Israel.
Die Reaktion hiesiger Dichter und Denker fiel weniger eindeutig aus und blieb insgesamt verhaltener als nach dem Überfall auf die Ukraine.
Wir vom PEN Berlin haben auf der Buchmesse kurzfristig deutsch-israelische Intellektuelle unterschiedlicher politischer Meinung eingeladen, ihre geteilte Sorge um Israel zu diskutieren. Zugleich haben wir jüdische Autorinnen und Autoren eingeladen, aus einem Buch zu lesen, das nach dem Massenmord an Israelis nicht ausgezeichnet werden sollte, weil es den historisch belegten Mord israelischer Soldaten an einem Beduinenmädchen schildert.
Das Schweigen vieler muslimischer Vertreter zum Terror gegen Israel leistet der pauschalen Verdächtigung aller Palästinenser als Sympathisanten leider Vorschub. Erst recht tut dies das Geschwätz von Theoretikern, die islamistische Fanatiker für eine Befreiungsbewegung halten. Die Hamas mordet auch säkulare, feministische, queere Palästinenser. Über Wege zu einem gerechten Frieden im Nahen Osten werden wir auf dem PEN Berlin Kongress im Dezember diskutieren. Der heutige Abend hat einen anderen Zweck.
Jüdinnen und Juden fühlen sich in Deutschland nicht mehr sicher und von der Gesellschaft alleingelassen. Vor den Synagogen steht jetzt noch mehr Polizei als von jeher zur Abwehr der alteingesessenen Antisemiten. Der versuchte Brandanschlag auf ein jüdisches Gemeindezentrum in Berlin zeigt, wie nötig dieser Schutz ist.
Kirchen und Moscheen bedürfen seiner in der Regel nicht. Mit einer Ausnahme: Die progressive Ibn-Rushd-Goethe-Moschee unserer Kollegin Seyran Ateş, die heute Abend lesen wird, sollte von eingereisten Jihadisten angegriffen werden und bleibt aus Sorge um die Mitarbeitenden bis auf weiteres geschlossen.
Aber jüdisches Leben findet nicht nur und nicht hauptsächlich in Synagogen statt. Sondern auf der Straße, in den Verkehrsmitteln, auf dem Schulhof. Häuser, in denen Juden wohnen, werden mit dem Davidstern gekennzeichnet. Koschere Restaurants in Berlin bleiben dieser Tage aus Angst vor Gewalt leer. Kaum noch ein Jude traut sich mit Kippa auf die Straße. Jüdische Kinder werden in der Schule angefeindet. Die Tochter eines Kollegen wurde in der U-Bahn bespuckt, als sie beim Telefonat mit dem Vater vom Deutschen ins Hebräische wechselte.
Dagegen sagen wir heute Abend: Nie wieder ist jetzt! Wo Jüdinnen und Juden nicht sicher und frei von Angst leben können, kann bald niemand mehr sicher und frei von Angst leben.
Judenhass war und ist immer Hass auf die Freiheit, die Toleranz, die Pluralität. Wir lassen uns als Demokraten nicht in Stämme spalten, sondern wir stehen zusammen für die universellen Rechte und Freiheiten aller Menschen.