Iran-Rede von Deniz Yücel

Rede auf einer Iran-Solidaritätsveranstaltung am 30. Januar 2023 in der Frankfurter Paulskirche

Für die Sehnsucht nach einem normalen Leben

Von Deniz Yücel

Frau Oberbürgermeisterin,
meine Damen und Herren Guten Abend,

ich begrüße Sie zu dieser Veranstaltung in der Paulskirche und danke Frau Eskandari-Grünberg für ihre Einladung, ein paar Takte zum Thema Iran, Demokratie und Frauenrechte sprechen zu dürfen.

Vielleicht wird sich der eine oder die andere unter Ihnen wundern, warum gerade ich über dieses Thema reden soll – ein Mann zum Thema Frauenrechte, ein deutschtürkischer Journalist ohne familiäre oder professionelle Verbindungen ins Land zum Thema Iran. Sollten nicht die Betroffenen gehört werden?

Nun können Menschen mit ähnlichen biografischen Bezügen dieselbe Sache zwar sehr unterschiedlich beurteilen und Empirie bedeutet nicht zwangsläufig Erkenntnis. Doch wäre es in der Tat befremdlich, wenn, sagen wir, bei einer Podiumsveranstaltung fünf Männer ganz unter sich das Thema Frauenrechte erörtern würden oder ein Symposium zum Thema Iran ganz ohne einen Referenten mit iranischem Background auskäme. Aber dergleichen ist heute ja nicht der Fall.

Wer aber die berechtigte Forderung, dass im Diskurs auch persönlich Betroffene zu Wort kommen sollen, dahin gehend auslegt, dass nur und ausschließlich persönlich Betroffene reden sollen und dürfen, betreibt eine Gettoisierung des Politischen.

Anders gesagt: Die Entrechtung von Frauen ist nicht nur ein Problem von Frauen. Und die mörderische Diktatur im Iran geht nicht nur die Iranerinnen und Iraner etwas an. Es geht nämlich um Menschenrechte. Und Menschenrechte sind nicht europäisch oder westlich, sie sind universell und unteilbar.

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Die Menschen, die seit Monaten im Iran auf die Straße gehen, die sich unbewaffnet einer blutrünstigen und zu allem entschlossenen Staatsmacht entgegenstellen und die nicht weniger wollen als eine Revolution, verdienen allergrößte Anerkennung und Bewunderung. Der jetzige Aufstand baut auf frühere Protestbewegungen auf, aber hat es geschafft, über soziale, ethnische und kulturelle Grenzen hinweg das ganze Land zu erfassen und das Mullah-Regime so zu erschüttern wie nichts zuvor in den 43 Jahren seiner Herrschaft. Es geht nicht länger um einzelne Erscheinungsformen, um manipulierte Wahlen oder Benzinpreise, sondern ums Ganze.

Obwohl bei den Beteiligten unterschiedliche Motive zusammenfinden – anders ist eine solche Massenerhebung gar nicht denkbar – bleibt doch der Ursprung der Proteste die Lage der iranischen Frauen. Der gewaltsame Tod der 22-jährigen Mahsa Amini – oder um sie mit ihrem kurdischen Vornamen zu nennen: Jîna Amini – durch die Hände der Sittenpolizei hat diese Proteste nicht nur ausgelöst, sondern sie schnell zum Wunsch nach Revolution, nach Regimewechsel gesteigert. Den Frauen, aber auch ihren männlichen Mitstreitern, darf man zwei Erkenntnisse unterstellen:

Erstens: Wo Menschen auf eine systematische Weise unterdrückt werden, ist niemand frei, auch nicht jene, die scheinbar davon profitieren. Zweitens: Die Unterdrückung, Bevormundung und Erniedrigung der Frauen gehört zum Wesen der Islamischen Republik Iran. Wer das infrage stellt, stellt automatisch die Systemfrage.

Dass die Forderungen nach Gleichberechtigung der Geschlechter und sexueller Selbstbestimmung im Zentrum einer revolutionären Erhebung gegen eine bestehende politische und soziale Ordnung stehen, dürfte ein Novum sein. Unabhängig davon, wie sich die Dinge in der nächsten Zukunft weiterentwickeln, haben die Iranerinnen und Iraner bereits jetzt Weltgeschichte geschrieben.

Vielleicht ist es noch zu früh zu sagen, ob im Iran bereits eine Revolution zugange ist oder ob es zutreffender wäre, mit jemandem, der davon etwas verstand, nämlich mit Lenin von einer »vorrevolutionären« Situation zu sprechen, in der die Beherrschten nicht mehr wollen und die Herrscher nicht mehr auf dieselbe Weise können. Zusätzlich zu diesen »objektiven« Faktoren würde es demnach aber noch am »subjektiven« Faktor fehlen, nämlich an der Fähigkeit der Beherrschten, die bestehende Macht zu stürzen.

Oder um dieselbe Frage nicht mit Lenin zu erörtern, der es bekanntlich eher mit der Macht hielt als mit der Freiheit, sondern mit Hannah Arendt: Revolution beinhaltet für sie eine doppelte Freiheit: zum einen die negative Freiheit, sich von der Tyrannei zu befreien. Da sind die Iranerinnen und Iraner mittendrin, auch wenn sie dafür einen hohen Preis bezahlen. Doch Revolution beinhaltet demnach auch eine zweite Art von Freiheit, eine positive: die Schaffung eines neuen, öffentlich-politischen Raumes.

»Diese öffentliche Freiheit«, so schreibt Arendt, »ist eine handfeste lebensweltliche Realität, geschaffen von Menschen, um in der Öffentlichkeit gemeinsame Freude zu haben – um von anderen gesehen, gehört, erkannt und erinnert zu werden.« Wie weit die Iranerinnen und Iraner sich in diesem Sinne bereits in einer Revolution befinden sind, vermögen andere besser beurteilen als ich.

Auf jeden Fall zeigt der Aufstand – womöglich schon: die Revolution –, dass eine andere Revolution gescheitert ist: Die Mullahs wollten ja nicht nur die politische Herrschaft ergreifen und die Wirtschaft nach ihren Vorstellungen gestalten. Sie wollten einen neuen, in ihrem Sinne »islamischen« Menschen schaffen, und das Denken, Fühlen und Begehren ihrer Untertanen dauerhaft in einem explizit antiwestlichen, antiindividualistischen, antidemokratischen Sinne verändern. Das mag ihnen zeitweise, auch mit dem Einsatz von Gewalt und unter Eindruck des Krieges mit dem Iran, gelungen sein, ist aber inzwischen gescheitert. Diese Macht wird sich auch dann nicht rekonstruieren lassen, wenn es ihnen ein weiteres Mal gelingen sollte, den Protest blutig niederzuschlagen.

Zugleich führt der Aufstand im Iran in viel stärkerem und mächtigerem Maße vor, was wir in den vergangenen zehn Jahren immer wieder beobachten: In religiös gefärbten autokratischen oder diktatorischen Regimen – und das heißt in der Gegenwart in den meisten Fällen: muslimisch-religiös gefärbten – sind Frauen nicht nur Objekte einer spezifischen Unterdrückung, sie können auch Subjekte des Widerstandes sein. Das war beim »arabischen Frühling« in Ägypten und Tunesien so, beim Gezi-Aufstand in der Türkei, im Kampf der Kurden gegen den IS. Unterdrückt zu sein ist nicht dasselbe wie schwach zu sein.

Ein Aufstand, den niemand geplant hat und der alle überrascht, sogar die Beteiligten, kommt niemals aus dem Nichts; bevor Menschen spontan und wirkmächtig in den öffentlich-politischen Raum eingreifen, durchleben sie Prozesse im vorpolitischen Raum – bis die Diskrepanz zwischen den Freiheiten der privaten Sphäre und der Unfreiheit in der öffentlich unerträglich wird. Kurz: Frauen in muslimischen Ländern – im Iran vielleicht mehr als irgendwo sonst – sind unterdrückt, aber nicht schwach. Sie bedürfen der Solidarität, nicht des Mitleids.

***

Ich will Ihnen keine Dinge erzählen, die meine Nachrednerinnen und Redner und viele von Ihnen auch aus eigenem Erleben besser kennen ich als ich. Stattdessen möchte ich einige Überlegungen rund um den Aufstand im Iran ausführen – und mit der Frage beginnen: In welchem Verhältnis steht das Geschehen im Iran zur akademischen Mode namens »Postkolonialismus«?

Dafür zunächst einen Schritt zurück: Die großen progressiven Aufbrüche des 19. und 20. Jahrhunderts – die Arbeiterbewegung, die Frauenemanzipation, der Antirassismus, die Homo-Bewegung, die antikolonialen Aufstände in der Dritten Welt – gingen stets nach einem ähnlichen Muster vor: Sie verglichen die »westlichen Moderne«, das Ideal der Aufklärung mit der Realität der westlichen Welt – und nur selten ging dieser Vergleich zugunsten der Realität aus.

Zumindest in ihren dominierenden Strömungen lehnten diese Bewegungen Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit nicht ab, sie forderten sie ein; sie waren keine Feinde der Aufklärung, sie weiteten diese auf ihre eigenen blinden Flecke aus. Oder um es mit Mahatma Gandhi zu sagen, der auf die Frage, was er der westlichen Zivilisation halte, antwortete: »Well, I think it would be a good idea.«

Auch der Blick auf die Geschichte des Iran bietet keinen Grund zur Glorifizierung der westlichen Welt; die fatale Rolle, die die USA und Großbritannien 1953 beim Sturz des progressiven Premierministers Mohammad Mossadegh spielten, ist inzwischen erwiesen. Die Diktatur des Schahs diskreditierte nicht nur in den Augen vieler Iranerinnen und Iraner die westliche Welt, sie bildete auch Grundlage und Voraussetzung für den Sieg Ayatollahs Khomeinis und seiner islamischen Revolution.

Der Westen bot also schon immer genug Anlass, seine Praxis kritisch gegen sich selbst zu wenden. Doch manche Kritiker gingen darüber hinaus und stellten die Ideenwelt von Moderne, Aufklärung und Emanzipation unter Verdacht. Frantz Fanon etwa, der Vordenker des antikolonialen Befreiungskampfes in Algerien und darüber hinaus, hielt Verweise auf die Rechte von Frauen für einen Trick der Kolonialherren, mit dem diese ihre Herrschaft legitimieren und den Widerstand brechen wollten.

Und Michel Foucault, der Großdenker des Poststrukturalismus, war übrigens ebenso wie Carl Schmitt der Ansicht, dass sich hinter jedem Anspruch auf Gerechtigkeit nur ein verschleierter Anspruch auf Macht verberge. Wenn es aber kein Recht ohne Macht gibt, kann es auch keine Frauenrechte, keine Menschenrechte, nichts, das außerhalb von Macht steht und universelle Gültigkeit beanspruchen kann.

Deshalb entbehrte es nicht einer gewissen Logik, dass Foucault am Vorabend der islamistischen Revolution den Iran bereiste und im aufkommenden Mullah-Regime nicht etwa ein besonders drastisches Beispiel für seine Theoreme von der »Disziplinargesellschaft« und der »Biomacht« erkannte, sondern ganz entzückt von dieser Revolte war, die einen »Dritten Weg« zwischen Kapitalismus und Sozialismus zu versprechen schien und im Gegensatz zu den marxistisch beeinflussten Widerstandsbewegungen das gesamte Projekt von Aufklärung und Moderne radikal ablehnte.

Im Gefolge dessen hat sich an den westlichen Akademien ein »Post-Kolonialismus« entwickelt, der sich ganz der Aufgabe verschrieben hat, den Westen und die Aufklärung als »kolonialistisch« zu – na klar – »dekonstruieren«. Mögen die intellektuellen Vordenkerinnen und Vordenken dieses »Post-Kolonialismus« Lehrstühle an renommierten Universitäten in den USA oder Großbritannien bekleiden, seine politischen Wort- und Anführer heißen heute Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdogan und Ali Chamenei. Sie sind es, die die Gleichberechtigung von Frauen oder LGBT-Rechte als »Kulturimperialismus« verdammen.

Mit diesem »Post-Kolonialismus« verschmolzen haben sich weite Teile eines akademischen Feminismus, der nur noch ein Betätigungsfeld zu kennen scheint, nämlich die Sprache, dem er sich mit aller Energie und oft genug mit Furor widmet, während man im postkolonialen Jargon wortreich Zwangsverschleierung zu einem emanzipatorischen Accessoire und Kritik an der Bevormundung von Frauen zum »kolonialen Blick« erklärt – erinnert sei an dieser Stelle an die lautstarke Kritik an einer Veranstaltung der Frankfurter Goethe-Universität zum Thema Kopftuch, die von einigen Studentinnen und Studenten als »rassistisch« diffamiert wurde.

Und auch da, wo man sich mit den Frauen im Iran solidarisiert, versucht man zuweilen krampfhaft, das eigene Weltbild aufrechtzuerhalten. Um dies mit einem aktuellen und besonders drastischen Fall aus dem Iran auszuführen: Masooumeh war 14 Jahre alt und lebte mit ihrer Familie in einem armen Vorort von Teheran. Im Dezember nahm sie in der Schule aus Protest ihr Kopftuch ab, wurde durch Kameras identifiziert und später festgenommen. Im Polizeigehorsam wurde sie vergewaltigt und später mit einem schweren Scheidenriss ins Krankenhaus eingeliefert, wo sie verstarb.

Ein solches bigottes Regime, das unter Berufung auf den Islam – genauer: auf ihre Auslegung des Islams – die eigene Herrschaft durch eine wahnhafte Kontrolle der weiblichen Sexualität errichtet und Verstöße gegen ihre Sexualmoral systematisch mit Vergewaltigungen bestraft, ist nicht bloß der länderspezifische Ausdruck eines »globalen Patriarchats«, das in Deutschland genauso existierte; der Kampf der Iranerinnen und Iraner gegen ein Regime, das so viele Masooumehs auf dem Gewissen hat, ist nicht Teil eines »internationalen Kampfes« für eine »gendergerechte Sprache« oder gegen »gläserne Decken« in DAX-Vorständen. Hier verläuft die gar nicht so feine, sondern ziemlich fette Linie zwischen Solidarität und Vereinnahmung, zwischen Empathie und Verharmlosung.

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Das Schicksal des Iran entscheide sich im Westen, ist immer wieder aus der politischen Diaspora zu hören. Diese, auch bei Exilanten aus anderen Ländern verbreitete Vorstellung ist aber vor allem eines: Folge eines schlechten Gewissens, eines Schmerzes darüber, dass man selber nicht länger da ist, sondern hier, eines Gefühls der Ohnmacht, nicht selber Teil des Geschehens zu sein, sondern zum Zuschauen verdammt, weshalb man den Ort des Exils zum eigentlichen Schauplatz überhöht; zum place to be, wo am Ende die maßgeblichen Entscheidungen getroffen würden, die man als Exilant zu beeinflussen versucht.

Menschlich ist dieses Gefühl nachvollziehbar. Aber es bleibt eine Illusion. Der Westen ist keineswegs so allmächtig. Und wenn ein Land in den vergangenen Jahrzehnten der halb kindlichen, halb verschwörungstheoretischen Annahme getrotzt hat, dass ohne Billigung des Pentagon (der Wall Street, des Westens etc.) nirgends in der Welt auch nur ein Vogel fliegen könnte, dann der Iran.

Die Zukunft des Iran entscheidet sich im Iran; sie entscheidet sich an der Frage, ob die Menschen, die seit Monaten – und mit Unterbrechungen seit 2017 – auf der Straße sind, sich dazu in der Lage zeigen, den Protest in eine Revolution zu verwandeln. Ob es ihnen gelingt, die Machtfrage zu stellen – und in ihrem Sinne zu beantworten.

Der Westen kann die revolutionäre Umwälzung der iranischen Gesellschaft also nicht herbeiführen. Aber das heißt nicht, dass die westliche Welt überhaupt nichts machen könnte. Eines kann sie sehr wohl tun: Sie kann und muss jede Komplizenschaft mit dem iranischen Regime aufkündigen.

Worüber seit dem Tod Jîna Mahsa Aminis die deutsche und europäische Politik einig zu sein scheint, war in den vergangenen Jahren keineswegs Konsens. Stattdessen setzte man – gerade auch in Ihrer Partei, Frau Oberbürgermeisterin – auf den »Dialog«, eine Idee, in die die deutsche Außenpolitik seit den Siebzigerjahren geradezu vernarrt ist.

»Wandel durch Handel« lautete das Motto, das sich im Kalten Krieg ja als erfolgreich erwiesen hatte. Dabei könnte man trefflich darüber streiten, welchen Anteil die Annäherungspolitik am Zusammenbruch des Ostblocks tatsächlich hatte. Man könnte auch betonen, dass diese Annäherungspolitik die Verabschiedung der Schlussakte von Helsinki beinhaltete, welche nicht nur die Nachkriegsordnung und die Nachkriegsgrenzen anerkannte, sondern auch mit dem Kapitel über die »Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten« Dissidenten in Osteuropa eine Handhabe lieferte, auf die sie sich berufen konnten.

Etwas Vergleichbares hat der sogenannte Dialog mit Russland, China oder dem Iran nicht hervorgebracht, es wurde nicht einmal versucht. Hier heißt die Realität Handel statt Wandel; hier hat sich der »Dialog« als end-, sinn- und folgenloses Blablabla erwiesen, das bloß zur Verbrämung fragwürdiger Geschäfte mit Diktatoren in aller Welt dient – und das im Übrigen die iranischen Machthaber kein bisschen vom Griff nach der Atombombe abgehalten hat.

Auch jetzt sträubt man sich gegen Maßnahmen, die insbesondere in der iranischen Diaspora zurecht immer wieder gefordert werden. Allen voran dagegen, die Revolutionsgarden, den wichtigsten Machtfaktor des iranischen Regimes, auf die EU-Liste terroristischer Organisationen zu setzen und Angehörigen und Einrichtungen der Revolutionsgarden entsprechend zu sanktionieren. Ob aus Feigheit vor den angedrohten Vergeltungsmaßnahmen oder aus der abstrusen Annahme, sich dadurch irgendwelcher Einflussmöglichkeiten zu berauben, die vor allem in der Fantasie westlicher Nachrichtendienste existieren – diese Zurückhaltung gegenüber den Revolutionsgarden ist unangebracht.

Wenn ich an dieser Stelle eine Klammer aufmachen darf: Der Glaube, dass Kontakte zu einer terroristischen Organisation schon ein Wert sind und Einflussmöglichkeiten eröffnen, scheint besonders bei deutschen Nachrichtendiensten verbreitet. Vielleicht erinnert Sie das hier in Hessen an etwas. Mich jedenfalls erinnert es daran, wie ein Landesamt Verfassungsschutz so lange nutzlose Kontakte unterhielt, bis man dabei saß, als in Kassel Halit Yozgat in einem Internetcafé erschossen wurde und man hinterher Berge von Akten vernichten musste, weil man sich auch im strafrechtlichen Sinne mitschuldig gemacht hatte.

Klammer zu und zurück zum Iran: Es ist an der Zeit, sie als das zu behandeln, was sie sind: eine Organisation, die in Syrien und im Irak im iranischen Interesse handelt, die die russische Armee im Krieg gegen die Ukraine unterstützt und von einer Vernichtung Israels träumt, die vor allem aber die eigene Bevölkerung mit Staatsterror unterjocht.

Doch sollte es den Mullahs gelingen, wieder jene Friedhofsruhe herzustellen, auf der ihre Diktatur beruht, dürfte es nicht allzu lange dauern, bis wieder jemand auf der Matte steht – der Bundesverband Außenwirtschaft vielleicht, ein Dialogexperte aus der Ministerialbürokratie oder ein Experte aus dem Institut für Expertentum –, der der Auflockerung der Sanktionen und damit einer Stabilisierung des Regimes das Wort redet.

So unvorstellbar ein solcher Verrat an den Oppositionellen im Iran derzeit erscheinen mag – im Herbst 2014, während der Belagerung von Kobane, als die Kurdinnen und Kurden nicht nur ihr Land, sondern ganz Europa gegen eine Barbarenbande namens »Islamischer Staat« verteidigten, wäre der Verrat, den der Westen – namentlich die USA unter Präsident Trump – einige Jahre später, nach dem Sieg über den IS, an den Kurden begehen sollte, ebenfalls unvorstellbar erschienen.

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Eine weitere Maßnahme, die man in Europa treffen kann, lautet: Alles tun, um Iranerinnen und Iranern die Einreise und Aufnahme zu erleichtern, die keine andere Aussicht mehr sehen, als ihr Land zu verlassen, so wie es zu unterschiedlichen Zeiten so viele ihrer Landsleute vor ihnen getan haben.

Doch das ist bislang nicht, jedenfalls nicht in nennenswertem Ausmaß der Fall, weshalb wir als PEN Berlin auf Fragen, ob bereits Hilfsgesuche iranischer Kolleginnen und Kollegen bei uns eingetroffen seien, immer nur antworten: »Bisher nicht – und das Beste wäre, wenn es so bliebe.«

Vor allem in progressiven Kreisen wendet man sich hierzulande bei jeder internationalen Krise recht schnell – nach meinem Dafürhalten: zu schnell – dem Thema Solidarität mit Flüchtlingen zu. So gut gemeint das sein mag, schwingt darin auch etwas Unangenehmes mit: Man gefällt sich darin, Menschen als fürsorgebedürftige Opfer und sich selbst als deren Wohltäter zu sehen.

Umgekehrt empfindet man es als verstörend, wenn Menschen dazu bereit sind, für ihre Freiheit ihr Leben herzugeben; wenn junge Menschen, die noch einmal die erste große Liebe ausgekostet haben, sich einer skrupellosen Staatsmacht entgegenstellen und ganz genau wissen, dass sie ihr Augenlicht, ihre Freiheit, ihr Leben verlieren könnten.

Dieser Reflex zeigte sich nach dem russischen Überfall auf die Ukraine, wo die Bereitschaft der Bundesregierung wie der deutschen Zivilgesellschaft, humanitäre Hilfe zu leisten, erfreulich groß war, es aber lange dauerte, bis sich unter den Regierenden die einfache Erkenntnis durchsetzte: Symbolische wie praktische Solidarität brauchen nicht nur die, die fliehen, sondern auch jene, die kämpfen. Das gilt genauso für den Iran.

Um eine neue Welle von Flüchtlingen aus dem Iran müssen und werden wir uns kümmern, wenn dies notwendig wird. Aber noch besteht die Hoffnung, dass es nicht so weit kommt. Dass die Revolution nicht niedergeschlagen wird, sondern siegt.

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»Baraye hazrate jek zendegiye maamuli« – »Für die Sehnsucht nach einem normalen Leben« heißt es im Song »Baraye«, dessen Text der Musiker Shervin Hajipour aus Twitter-Kommentaren von Demonstranten zusammensetzte, die ihre Beweggründe geschildert hatten, sich den Protesten anzuschließen. In diesem starken Song, der schnell zur Hymne des Aufstands avancierte, erscheint mir diese Zeile als die allerstärkste.

Denn was auf den ersten Blick bescheiden und unprätentiös, vielleicht sogar unpolitisch anmuten mag, ist in Wahrheit das genaue Gegenteil: Ich will ein normales Leben führen! Und ich will das nicht nur mich, ich will das für alle. Normal nicht im Sinne einer Norm entsprechend. Sondern als Sehnsucht auf ein Leben mit allen Rechten und Freiheiten, die anderswo als selbstverständlich gelebt werden.

Gerade weil sie so konkret ist, birgt die Forderung nach dem privaten kleinen Glück und die Verzweiflung an seiner Unmöglichkeit die größte revolutionäre Sprengkraft, weil sie so radikal ist, so unversöhnlich. Früher oder später wird dieser Wunsch das Mullah-Regime hinwegfegen, wie lange und blutig sich sein Abwehrkampf noch hinziehen mag. Denn Diktaturen sind zwar meist leider zäher, als es sich Demokraten wünschen. Aber keine Diktatur ist so für die Ewigkeit gemacht, wie es Diktatoren gerne glauben. Irgendwann ist jede fällig. Und die iranische ist kurz davor.

Jin, Jiyan, Azadî!

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