Adania Shibli Lesung Begrüßung Deniz Yücel

Redemanuskript zur Begrüßung der Lesung aus Adania Shiblis »Eine Nebensache«
Frankfurter Buchmesse, 21. Oktober 2023

Über Solidarität, Literatur, Debatte

Von Deniz Yücel

Auf der Bühne v.l.n.r.: Deniz Yücel, Sasha Marianna Salzmann, Tomer Dotan-Dreyfus, Eva Menasse, Julia Franck, Deborah Feldman, Dana Vowinckel

Ich begrüße Sie im Namen der Autorinnen- und Autorenvereinigung PEN Berlin zu dieser sehr kurzfristig angesetzten Lesung aus Adania Shiblis Roman »Eine Nebensache«, der eigentlich auf der Frankfurter Buchmesse ausgezeichnet werden sollte, wozu es dann, Sie wissen es, doch nicht kam.

Ich danke der Frankfurter Buchmesse, dass sie uns diese Bühne zur Verfügung stellt, ich danke Deborah Feldman, Julia Franck, Tomer Dotan-Dreyfus, Sasha Marianna Salzmann und Dana Vowinckel, die gestern Abend sofort zugesagt haben, als meine Kollegin Eva Menasse sie einlud, an dieser Lesung mitzuwirken, und ich danke Ihnen, dass Sie gekommen sind.

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Im August vergangenen Jahres, der PEN Berlin war gerade erst gegründet, veranstalten wir nach dem Mordanschlag auf Salman Rushdie im Berliner Ensemble eine Solidaritätslesung. Salman Rushdie, der morgen mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt werden wird, wurde jahrzehntelang vor den Schergen jenes iranischen Regimes bedroht und verfolgt, das mutmaßlich auch für den Massenmord verantwortlich ist, den die Hamas am 7. Oktober in Israel verübt hat.

Eine der Menschen, die an dieser Solidaritätslesung mitwirkten, war Seyran Ates, Publizistin, Rechtanwältin und Gründungsmitglied des PEN Berlin. In den vergangenen Tagen wurden Anschlagspläne eines Ablegers der Terrormiliz »Islamischer Staat« gegen die von Seyran Ates gegründete progressive Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin bekannt. Eine erleichternde Nachricht, weil die Sicherheitsbehörden rechtszeitig eingreifen konnten, aber auch eine erschreckende, die einmal mehr daran erinnert, dass der islamistische Terror nicht nur Israel bedroht, sondern auch hier eine Bedrohung bleibt – auch und gerade für Muslime oder Menschen aus muslimisch geprägten Ländern.

Anders als diese Lesung für Salman Rushdie ist die heutige Veranstaltung keine Solidaritätslesung. Das sage ich ausdrücklich nicht im Namen der Mitwirkenden, die das womöglich anders sehen, das sage ich im Namen des PEN Berlin. Und ich glaube, das muss ich erläutern:

Gerade weil Solidarität, die Solidarität mit verfolgten Autorinnen und Autoren aus aller Welt, der allererste Daseinsgrund des PEN Berlin ist, verwenden wir den Begriff Solidarität mit Bedacht. Solidarität erfordert nicht nur einen persönlichen Einsatz. Solidarität setzt auch einen Anlass voraus. Sie ist dann geboten, wenn jemandem gravierendes Unrecht geschieht, so gravierend und grundlegend, dass andere, die untereinander sonst nicht viel verbindet, an diesem Punkt zusammenfinden und Solidarität – symbolische, politische, womöglich auch praktische – leisten können.

Noch bevor am Freitag vergangener Woche bekanntgegeben wurde, dass die Preisverleihung an Adania Shibli nicht wie geplant stattfinden würde, hatten wir als PEN Berlin uns gegen die sich bereits abzeichnende Verschiebung ausgesprochen: »Kein Buch wird anders, besser, schlechter oder gefährlicher, weil sich die Nachrichtenlage ändert. Entweder ist ein Buch preiswürdig oder nicht. Die schon vor Wochen getroffene Entscheidung der Jury für Shibli war nach meinem Dafürhalten eine sehr gute. Ihr den Preis zu entziehen, wäre politisch wie literarisch grundfalsch«, sagte Eva Menasse.

Das sehen wir auch heute so. Und natürlich sind wir solidarisch mit Adania Shibli, wenn sie diffamiert, angefeindet, bedroht wird. Allerdings, und auch das möchte ich betonen: Es gibt kein Menschenrecht auf Literaturpreise; eine abgesagte bzw. verschobene Preisverleihung ist keine gravierende Verletzung von Menschenrechten.

Bei der heutigen Veranstaltung geht es viel mehr um zwei andere Dinge: Literatur und Debatte. Wir möchten dem Roman, über den in den letzten Tagen so viel die Rede war – und der im Übrigen bereits für amerikanischen National Book Award und für den International Booker-Prize nominiert war – eine Bühne zu geben Wir möchten die Literatur sprechen lassen.

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Als PEN Berlin widersprechen wir Unterstellungen, Adania Shibli würde in irgendeiner Form mit den Mördern der Hamas sympathisieren. Allerdings teilen wir auch nicht die Ansicht, dass palästinensische Stimmen in Deutschland nicht gehört würden und sich niemand für das Leid der Palästinenser interessieren würde.

Tatsächlich sind palästinensische Stimme seit dem 7. Oktober auf der Straße: Oft – ich erinnere an die Süßigkeiten, die am Tag des Angriffs verteilt wurden – auf unerträgliche Weise; immer radikal, unversöhnlich.

Was fehlt, ist etwas anderes: Was fehlt, sind palästinische Stimmen – Intellektuelle, Künstler, Aktivisten – die die auf die Ereignisse in Israel und Palästina natürlich einen anderen Blick haben als, sagen wir, das Feuilleton der taz oder die Meinungsseite der FAZ, die aber ihre Stimme erheben. Für eine friedliche Ko-Existenz von Israelis und Palästinensern, für Mäßigung und Austausch, gegen Hass und Gewalt. Die die Wortführerschaft nicht den, ob religiösen oder säkularen Radikalen auf der Straße überlassen. Es fehlt nicht der Satz »Wir distanzieren uns«; es fehlt der Satz »Wir haben ein Problem«.

Ich wünschte, jene arabischen und palästinensischen Kolleginnen und Kollegen, die in den vergangenen Tagen vehement – und zurecht – gegen die Absage der Preisverleihung für Adania Shibli protestiert haben, auch in diesem Sinne ihre Stimme erhoben hätten.

Wir können sie einladen, vielleicht auch auffordern, Verantwortung zu übernehmen und sich dieser Auseinandersetzung zu stellen – wie wir die deutsche Öffentlichkeit dazu auffordern können, diese notwendige Debatte ohne Pauschalisierungen und generelle Verdächtigungen zu führen.

Führen können wir dies Debatte hier und heute, in diesem Kreis, nicht. Aber wir können der Literatur ihren Platz geben, was meine Kolleginnen und Kollegen jetzt tun werden.

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