Vorstellung inhaftierter Autor:innen auf dem PEN-Berlin-Kongress »Wer räumt das jetzt auf?«
29. November 2025, Säälchen, Berlin
Iran, Kuba, Algerien: Eingesperrt, weil Machthaber fürchten, was sie sagen

»Freue dich, wenn das Blut deines Herzens
zum Gedicht über den Geliebten wird.
Denn das heißt, dein Herz und deine Augen
haben Nachricht von der Liebe gebracht.«
Ich war acht, als ich mein erstes Hausmaus-Gedicht geschrieben habe. 15, als ich das erste Mal auf einer Poetry-Slam-Bühne stand. 26, als mein erstes Gedichtband erschien ist. Und es war mein Leben lang pures Glück, dass ich dafür nicht ermordet worden bin.
Peyman Farahavar soll genau dafür ermordet werden. Für die Gedichte, die er schreibt. Für die Reime, die er schreibt. Für die Worte, die ich gerade vorgelesen habe. Peyman gehört zur gilakischen Bevölkerungsgruppe in Iran. Er schreibt Gedichte, auch auf Gilakisch, über Liebe, über Liebe zur Umwelt, über Umweltzerstörung, über soziale Gerechtigkeit. Und dafür wurde er im September 2024 festgenommen.
Das Regime wirft ihm bewaffneten Aufstand vor und Krieg gegen Gott. Das Regime wertet seine Poesie als Kriegserklärung und sein bewaffneter Aufstand, seine »Waffe« ist sein Stift.
Peymans Todesurteil wurde im September dieses Jahres vom Obersten Gerichtshof der Islamischen Republik Iran bestätigt. Das bedeutet, er kann jederzeit hingerichtet werden.
Und ich möchte Euch an dieser Stelle bitten: Wenn Ihr auch nur die kleinste Bühne habt, ein Social-Media-Account, Zugang zu einer Redaktion, eine Buchhandlung, wo Ihr ein Plakat aufhängen könnt, tut es! Nutzt den kleinsten Raum, den ihr habt, um auf Peyman Farahavar hinzuweisen. Denn das Regime im Iran fürchtet die Kraft des Wortes. Ein Stift wird zur größten Waffe gegen dieses Regime und das zeigen Menschen wie Peyman Farahavar jeden Tag. Das Regime im Iran hat seit Anfang des Jahres mehr als 1.600 Menschen hingerichtet.
Bitte lasst nicht zu, dass Peyman Farahavar, unser Kollege, für seine Poesie als nächstes hingerichtet wird. Danke.
* Daniela Sepehri, Slam-Poetin, Journalistin, Moderatorin und Social Media Beraterin, seit November 2024 Board-Mitglied des PEN Berlin

Stellt Euch vor, es ist ein früher Morgen in einer kubanischen Gefängniszelle. María Cristina Garrido Rodríguez sitzt da, eine Poetin und Aktivistin, und in der Dunkelheit, während alle anderen schlafen, schreibt sie heimlich ein Gedicht. Ein Gedicht, das hinaus in die Welt gelangt, trotz aller Mauern. Und genau diese Stimme wollen wir heute hörbar machen.
María Cristina Garrido Rodríguez wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte 15 Jahre gefordert. Berichten zufolge wird sie in Isolationshaft festgehalten, mit ungenügend Nahrung und Wasser versorgt, mangelnde Hygienezustände und es gibt nur eingeschränkten Kontakt zur Familie.
Ihr Fall zeigt, wie künstlerischer Ausdruck auch unter Repression überlebt. Sie hat im Gefängnis Gedichte geschrieben. Unter anderem den Band »Voz cautiva« – Gefangene Stimme. Trotz der Härte der drohenden Strafen haben ihr ein paar Mitgefangene, ein paar Blätter Papier und einen verbogenen, körperlosen Stift organisiert. Und die ersten Gedichte, die nach draußen gelangten, kamen in einer zitternden Handschrift auf zerknitterten Seiten. Eins der Gedichte, Friedhof der Lebenden, lese ich jetzt vor.
»Ich schreibe diese Klage jetzt In einer Dämmerung aus Gefangenen und Schmach,
wo die Türen nach Weinen und Vergessen klingen.
Ich habe entdeckt, dass es besser ist, um diese Stunde zu schreiben,
wenn der Schmerz der anderen schläft
und die Stille den Geist besänftigt und die Seele beruhigt.
Die Nacht ist mein Antrieb,
obwohl sie die größte Gefahr bedeutet.
Ärzte ohne Kittel und ohne Berufung fliehen vor den Bitten,
und ich fürchte in einem langen unerwarteten Schmerz zu sterben.
Diesen Ort nennen wir den „Friedhof der Lebenden“.
und ich fürchte in einem langen unerwarteten Schmerz zu sterben.
Hier wird eine unerbittliche Gerechtigkeit begraben,
ohne Totengräber,
die unerbittliche Gerechtigkeit des Vaterlandes,
als würde man das Verbrechen eines Kindes
oder einer Blume begraben.«
Aus dem Gefängnis heraus ist es ihr auch gelungen, einen Brief zu schreiben, in dem sie ihren Stolz ausdrückte, dass sie Teil dieser Proteste war, wegen derer sie festgenommen worden war:
»Am 11. Juli durchbrachen wir das jahrelange Schweigen. Wir zeigten Einigkeit und Vielfalt. Denn junge Menschen, Erwachsene, Ältere, Studierende, Landwirte, Hausfrauen und Arbeiter, ebenso Anführer und sogar Parteikader gingen auf die Straßen, um Ja zu sagen. Zur Abschaffung der Diktatur und für ein prosperierendes und demokratisches Kuba.«
Dieser Brief brachte María Cristina tagelange Schläge und Verhöre ein. Man versucht, ihre Stimme zum Schweigen zu bringen, umso mehr, weil es die Stimme einer Frau ist, die sich widersetzt und furchtlos ihre Opposition in einem von Männern beherrschten öffentlichen Raum zum Ausdruck bringt.
Wir fordern nicht nur die sofortige Freilassung von María Cristina Garrido Rodríguez, sondern erinnern uns daran, dass die Kunst und die Freiheit der Worte stärker sind als jede Repression.
* Andrea Landfried, Autorin und Juristin, seit November 2024 Board-Mitglied des PEN Berlin

Manchmal übernimmt der Körper das Wort, das man dem Mund verbietet.
Boualem Sansal ist frei. Endlich. Doch wer nicht frei ist, wer heute, genau jetzt, in diesem Moment in einer algerischen Zelle sitzt – das ist Mohamed Tadjadit. Wer morgen, am 30. November, vor Gericht stehen wird und dem laut Anklage die Todesstrafe droht – das ist Mohamed Tadjadit.
Mohamed Tadjadit: 31 Jahre alt. Geboren in der Kasbah von Algier. Lyriker. Der Dichter des Hirak, der friedlichen pro-demokratischen Bewegung Algeriens seit 2019.
Seine Gattung? Mündliche Poesie. Poetry Slam. Spoken Word.
Seine Bühne? Die Straße. Treppen, Plätze, Demos, Facebook, TikTok.
Er trägt Gedichte wie dieses vor:
»Auf verratenem Land
legten wir euch die letzten Fäden Hoffnung in die Hand
und das habt ihr gegen uns verwendet.
Bringt unsere Fragen zu den Ahnen
und sagt, wie Algerien geworden ist:
Eine Heimat beschämt, verwundet,
bis auf den Atem.«
Im Januar dieses Jahres wurde Mohamed Tadjadit nur vier Tage nach seiner Festnahme in einem Schnellverfahren zu fünf Jahren Haft verurteilt. »Beleidigung öffentlicher Amtspersonen«, »Veröffentlichung von Inhalten, die dem nationalen Interesse schaden«, »Untergrabung der nationalen Einheit«. Begriffe, zu denen Staaten gerne greifen, wenn ihnen für Kritik die passenden Worte fehlen.
Für seine Gedichte mit dem Hashtag #Maanich_Radi (»Ich bin nicht zufrieden«) erhielt er in diesem Jahr den Freedom of Expression Award der britischen Organisation Index on Censorship, eine der wichtigsten Auszeichnungen für freie Kunst und freies Wort.
Am 11. November wurde er von einem Gericht in Algier erneut zu fünf Jahren Haft verurteilt. Diesmal lautet der Vorwurf: »Verherrlichung des Terrorismus«.
Mohamed Tadjadit befindet sich nun seit dem 16. November im Hungerstreik. Manchmal übernimmt der Körper das Wort.
Morgen, einen Tag nach unserem Kongress, während wir unseren Kaffee trinken, soll ein neues Verfahren gegen ihn beginnen. Die neue Anklage: »Verschwörung und Angriff auf den inneren Zusammenhalt des Landes.« Kurz »Terrorismus«. Eine Anklage, die in Algerien zu den härtesten gehört.
Wir fordern die Einstellung aller absurden Verfahren gegen Mohamed Tadjadit.
Wir fordern das Ende der Kriminalisierung von Poesie.
Wir fordern, dass Mohamed Tadjadit Zugang zu ärztlicher Versorgung bekommt.
Wir fordern, dass Mohamed Tadjadit freigelassen wird.
Sofort. Nicht irgendwann. Jetzt.
* Jayrôme Robinet, Schriftsteller und Leiter der Geschäftsstelle des PEN Berlin