PM: Ja, selbst Hass kann eine zulässige Meinung sein

Pressemitteilung vom 3. Juli 2025

Ja, selbst Hass kann eine zulässige Meinung sein

BKA
Foto: dpa | Fredrik von Erichsen

Eine Woche ist es her, dass das Bundeskriminalamt im Rahmen eines »Aktionstags gegen strafbare Hasspostings und Hasskriminalität« über 180 »polizeiliche Maßnahmen« durchgeführt hat, darunter 65 Wohnungsdurchsuchungen, für die die Ermittlungsbeamten im gesamten Bundesgebiet zur frühmorgendlichen Stunde ausrückten. »#StopHate – gegen Hass und Hetze im Netz«, heißt es auf der Instagram-Seite des BKA.

Während große Teile der deutschen Öffentlichkeit dieser Nachricht kaum Beachtung schenkten oder diese gar mit Genugtuung zur Kenntnis nahmen – was soll schon schlecht sein am Kampf gegen Hasskriminalität? – betrachtet die Autorenvereinigung PEN Berlin diesen Vorgang mit Sorge. Diese Sorge betrifft den Gegenstand der Ermittlungen, das Vorgehen der Polizei und den Rahmen – den »Aktionstag«.

PEN-Berlin-Sprecher Deniz Yücel erklärte hierzu: »Es ist unbestreitbar, dass mit der Digitalisierung eine Verrohung des öffentlichen Raumes einhergeht, die nicht nur den von Beleidigungen oder Bedrohungen betroffenen Menschen schadet, sondern auch der Debattenkultur insgesamt. Allerdings drängt sich die Frage auf, ob die Behörden nicht viel zu oft überreagieren und damit ihrerseits der Meinungsfreiheit schaden.«

Dieser behördliche Übereifer zeigt sich auf drei Ebenen:

Zum einen ist »Hass und Hetze« keine juristische Kategorie, aber längst zu einer Phrase geronnen, mit der unliebsame, vielleicht auch immer häufiger unappetitliche, aber von der Meinungsfreiheit gedeckte Äußerungen belegt werden. Diese Tendenz ist umso besorgniserregender, wenn führende Vertreter der Exekutive ausdrücklich auch Äußerungen »unterhalb der Strafbarkeitsgrenze« den Kampf ansagen.

Zum zweiten wurden in den vergangenen Jahren die gesetzlichen Grenzen zulässiger Meinungsäußerungen enger gezogen, indem etwa § 188 StGB um den Straftatbestand der Beleidigung ausgedehnt wurde, wo zuvor nur üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens unter gesonderte Strafandrohung gestellt waren. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD sind weitere Einschränkungen der Meinungsfreiheit vorgesehen.

Zum dritten beobachtet PEN Berlin die Tendenz, dass Polizei und Staatsanwaltschaften und zuweilen sogar erstinstanzliche Gerichte dazu neigen, die Grenzen zulässiger Meinungsäußerungen immer enger zu ziehen. Behörden und Gerichte mögen dabei aus noblen Absichten wie der Bekämpfung von Antisemitismus oder Rassismus handeln. Aber keine noch so noble Absicht rechtfertigt es, die Grundrechte aufzuweichen. 

Selbstverständlich teilt PEN Berlin das Ziel, Antisemitismus oder Rassismus einzudämmen. Wir sind aber davon überzeugt, dass dies Aufgabe der Zivilgesellschaft ist und nur sehr bedingt durch staatliche Zwangsmaßnahmen bewältigt werden kann.

Statistik und Verhältnismäßigkeit

Laut der Statistik »Politisch motivierte Kriminalität« (PMK) des BKA haben sich die Delikte gemäß §§ 86 und 86a StGB (Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger oder terroristischer Organisationen bzw. Verwendung von deren Kennzeichen) zwischen den Jahren 2015 und 2024 mehr als verdoppelt. Fälle von Volksverhetzung (§ 130) haben sich im selben Zeitraum verdoppelt, Ehrverletzungsdelikte wie Beleidigungen oder Verleumdungen (§§ 185 bis 188 StGB) sogar mehr als verdreifacht, während die Zahl der erfassten Straftaten im Internet um das Dreieinhalbfache gestiegen ist. 

Zwar können performative Delikte auch zu Gewalttaten führen. Allerdings weist die PMK-Statistik keinen korrespondierenden Anstieg auf. Im Gegenteil: Politisch motivierte Gewalttaten sind zwischen 2015 und 2024 um fast 20 Prozent zurückgegangen (auf immer noch erschreckend viele 3.561 Fälle).

Selbst in solchen Fällen, bei denen ein gut begründeter Verdacht auf eine Straftat vorliegt, erscheint das Vorgehen der Polizeibehörden, also die frühmorgendlichen Razzien, als unverhältnismäßig. Es mag Fälle geben, bei denen eine Hausdurchsuchung zur Sicherung von Beweismitteln sinnvoll ist. Aber bei Hasspostings liegt die inkriminierte Handlung ja bereits vor. Und nur in den wenigsten Fällen dürfte man eine Verdunkelungs- oder Fluchtgefahr geltend machen können, die eine solche Überrumpelungstaktik rechtfertigen würde. »Ein solches Vorgehen ist charakteristisch für autoritäre Regime, aber eines Rechtsstaates unwürdig«, so Yücel.

Zeichensetzerei des BKA

Fragwürdig ist auch der Rahmen, in dem diese Durchsuchungen stattfanden. Dazu kommentierte Yücel: »PEN Berlin kann einen ›Aktionstag‹ gegen jenes oder für dieses ausrufen, ebenso wie die Junge Union oder der Kleingärtnerverein Eckernförde. Aber die Aufgabe der Ermittlungsbehörden besteht darin, im Rahmen der Gesetze und unter Achtung des Grundgesetzes Straftaten zu verfolgen, sobald sie davon erfahren. Ihre Aufgabe ist es nicht, irgendwelche Aktionstage‹ zu veranstalten oder irgendwelche ›Zeichen zu setzen‹. Das macht die Polizei in autoritären Regimen: Sie setzt Zeichen – zur Einschüchterung und Abschreckung.«

Die Zeichensetzerei – oder auch das jüngst vom Bundesverwaltungsgericht einkassierte Verbot des rechtsextremen Verschwörungsblattes Compact – sprechen dafür, dass die leider weit verbreitete Wahrnehmung, wonach die Meinungsfreiheit in Deutschland eingeschränkt sei, nicht in Gänze auf Einbildung und Verwechslung beruht. 

»Es gibt in Deutschland zum Glück eine höchstrichterliche Rechtsprechung, die in den vergangenen Jahren fast immer im Zweifel für die Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit entschieden hat«, schlussfolgerte PEN-Sprecher Yücel. »Dieses Korrektiv straft das Gerede von einer aufziehenden Diktatur der Lüge. Besser wäre es jedoch, wenn die Organe der Exekutive sich gar nicht korrigieren lassen müssten und sich daran erinnerten, dass die Freiheit des Wortes auch die Freiheit des bescheuerten oder abstoßenden Wortes umfasst. Ja, selbst Hass kann eine Meinung sein, die die Gesellschaft aushalten muss.« Auch die Arbeit der sogenannten Meldestellen muss in diesem Lichte überprüft werden. 

Erinnert sei an das wegweisende Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Jahr 1976 (Handyside v. United Kingdom), in dem es heißt, das Recht auf freie Meinungsäußerung gelte »nicht nur für die günstig aufgenommenen oder als unschädlich oder unwichtig angesehenen ›Informationen oder ›Ideen, sondern auch für die, welche den Staat oder irgendeinen Teil der Bevölkerung verletzen, schockieren oder beunruhigen. So wollen es Pluralismus, Toleranz und Aufgeschlossenheit, ohne die es eine ›demokratische Gesellschaft nicht gibt.«

PEN Berlin. Wir stehen im Wort.

 

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