Grußwort von Carsten Brosda auf dem PEN-Berlin-Kongress 2024

Grußwort auf dem Kongress »So kommen wir weiter« am 2. November 2024 in Hamburg

Öffentlichkeit ist kein safe space 

Von Carsten Brosda

[Grußwort als Audio hören]

Carsten Brosda
Carsten Brosda spricht zum Anfang des PEN-Berlin-Kongresses. Foto: Marie Eisenmann

Eva Menasse hat eben die wesentlichen Punkte genannt und ich will das – auch um den Lernerfolg des Politikers zu festigen –, kurz wiederholen und vielleicht noch zwei, drei Gedanken mit auf den Weg geben. Weil ich es großartig finde, dass der PEN Berlin nach Hamburg gekommen ist und dieses Thema auf dem Kongress beleuchtet und versucht, an einigen Stellen etwas tiefer zu tauchen, wo wir uns sonst häufig in öffentlichen Debatten in einem wechselseitigen Vorhalte-Modus befinden, mit aneinander anbrüllenden Megafonen unterwegs sind und alle tunlichst vermeiden, einander zuzuhören.

Und das, was momentan in der Welt los ist, hat, vielleicht so lakonisch wie treffend vor einem halben Jahr Bernd Begemann in zwei Zeilen eines Songs gefasst: »Es hat einen Vorfall gegeben / die Zuschauer sind nicht in Sicherheit.«

In diesem Satz gerinnt alles, was in unserer Gesellschaft momentan los ist: Es passiert etwas. Wir wissen nicht, was passiert, aber es dämmert allen, dass Zuschauen alleine keine Option mehr ist. Es gerät etwas ins Rutschen und das hat Folgen: Dass angesichts dieses nicht klar Definierbaren, nicht klar Greifbaren, sich Verändernden in der Gesellschaft sich einige wieder auf die Suche nach etwas begeben, woran man sich festhalten kann, nach irgendwelchen Gewissheiten, an die man sich klammern kann.

Das führt dazu, dass auf der einen Seite manche zu denen rennen, die ihnen versprechen, dass es so etwas wie eherne Wahrheiten gibt: Tradition, an die man anknüpfen könne. Etwas wäre verloren gegangen im Laufe der letzten Jahre und Jahrzehnte, als es so bunt und so vielfältig geworden ist, und man müsse wieder zurück zu dem, wovon man wisse, dass es das Ursprüngliche sei und dass uns so etwas wie Sicherheit gebe. Das ist dann, wenn man bei Songs bleibt, was Tocotronic besingt: »Diese Menschen sind gefährlich / Sie wissen genau, was sie tun.«

Merkwürdig an der Stelle ist, dass als Reaktion darauf, dass es manche gibt, die dieses Festhalten propagieren, dieses Essentialisieren in einer verflüssigten und sich wertemäßig immer im permanenten Aushandlungsmodus befindenden Welt, dass dann diejenigen, die versuchen diese Welt zu retten, die sagen, wir müssen Demokratie und Öffentlichkeit stärken, auf einmal auch zu Instrumenten greifen, die autoritär daherkommen. Dass man versucht, das Erreichte zu verfestigen und auf einmal Resolutionen und Texte schreibt und sich überlegt: Wie organisiere ich, dass bestimmte Aussagen nicht mehr zur Sprache kommen können, weil wir sie nicht mehr aushalten können?

Wer diesen Weg weitergeht, reißt alles ein, was er versucht zu retten. Deswegen bin ich dem PEN Berlin so dankbar, dass er diese Gespräche und Diskussionen anstößt und diese Feststellung immer wieder in die Öffentlichkeit trägt.

Freiheiten sind nicht ungefährlich 

DanielKahn
Daniel Kahn spielt zum Ende des PEN-Berlin-Kongresses. Foto: Jayrôme Robinet

Es ist nicht möglich, eine Öffentlichkeit als safe space zu organisieren. Es ist nicht denkbar zu glauben, dass Freiheiten ungefährlich sind. Also es wurde gefährlich in dem Moment, in dem Menschen sich – wir sind in der Hafenstadt – das erste Mal in ein Segelboot gesetzt haben und aus der eigenen Bucht rausgesegelt sind. Weil da wusste ich nicht mehr, wo denn die Steine im Wasser sind. Da konnte ich auf Grund laufen. Die Freiheit, das zu tun, hat mein Leben gefährdet. Natürlich hätte ich an Land bleiben können, da kann ich nicht ertrinken, richtig. Aber ich hätte die Welt auch nicht kennengelernt. Das heißt, ich kann Freiheiten nicht in Anspruch nehmen, ohne ein Bewusstsein für die Gefährdungen, die damit zu tun haben. Insofern kann ich auch nicht über die Frage »Brauche ich so was wie Öffentlichkeit?« im Pro- und Contra-Modus reden.

Wir lassen uns hineinziehen in gesellschaftliche Diskussionen, in denen wir so tun, als ob diejenigen, die bekräftigen, dass es die Freiheit des Wortes, die Möglichkeit des öffentlichen Austausches, die Unterstellung, dass der andere auch recht haben könnte, die kontrafaktische Unterstellung, dass wir alle auch an Verständigung orientiert sind, wenn wir miteinander reden, dass das Gleiche wäre und sich auf der gleichen diskursiven Ebene befände, wie die Aussagen derjenigen, die behaupten »Nee, ich bin der Meinung, diese Tradition, dieser Wert, diese Aussage muss absolut gelten und Gültigkeit haben«. Diese Dinge bewegen sich auf unterschiedlichen Ebenen und sie haben nicht auf der gleichen Ebene etwas miteinander zu tun.

Wer eintritt für Öffentlichkeit, wer eintritt für die Freiheit des Wortes, tritt dafür ein, dass andere das Gegenteil von ihm oder ihr sagen können. Und das ist der Unterschied. Diejenigen, die eine andere Position einnehmen, eröffnen nicht die Möglichkeit, ihnen zu widersprechen. Und insofern ist das keine Diskussion auf Augenhöhe, sondern es ist eine Diskussion, die sich auf einer prozeduralen Ebene am Ende um das Fundamentale in unserer Gesellschaft drehen muss. Und dass der PEN Berlin gesagt hat, diese Aufgabe nehmen wir an, diese Diskussion organisieren wir, weil wir die Sorge haben, dass sie nicht mehr organisiert wird, nicht mehr geführt wird in unsere Gesellschaft, ist nicht nur aller Ehren wert, sondern ist ehrlicherweise die großartigste Lobbyarbeit für Demokratie im positiven Sinne, die ich mir wünschen kann.

Insofern ist der Senator auch gekommen, um in seinem Grußwort »Herzlichen Dank« zu sagen für diese Arbeit, die nicht einfach ist, die aber umso notwendiger ist. Insofern herzlichen Dank für dieses Nichtnachlassen, für das Daraufbeharren, dass die Gefahren dieser Freiheit der notwendige Preis sind, den wir dafür zahlen müssen, in einer Demokratie leben zu können. Herzlichen Dank.

Settembrini, Naphta und die Idee der Aufklärung

Und am Ende ist es genau das, was dann wiederum auf der performativen Ebene auch ein Beleg dafür ist, dass das gut gehen kann. Jan Philipp Reemtsma beendet sein großartiges Buch „Vertrauen und Gewalt“, eine Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts, mit einer Betrachtung aus dem Zauberberg. 800 Seiten Gebirgsspaziergänge, der eine oder andere erinnert sich, für alle anderen fasse ich kurz zusammen: Castorp, dieser Ingenieursohn, sitzt in Davos, Settembrini, dieser schwärmerische Aufklärer, redet die ganze Zeit auf ihn ein, dass die Gedanken, die Ideen der Aufklärung eine großartige Sache sind. Im Hintergrund dämmert der Erste Weltkrieg auf, und irgendwann knallt Naphta in die Szenerie. Naphta ist der Zyniker, derjenige, der die Ideen der Aufklärung negiert. Und der die ganze Zeit dagegen argumentiert, dass es Sinn habe, die Vernunft zu gebrauchen. Dass es doch alles gar nicht gehen könne, dass es am Ende doch alles sowieso schlimm enden werde. Reemtsma beschreibt diese Szenerie und schreibt dann diesen unschuldigen Satz: »Dass Naphta mitdiskutierte, gab Settembrini recht.«

Carsten Brosda
Der Hamburger  Kultursenator beim PEN Berlin. Foto: Marie Eisenmann

Der Umstand, dass derjenige, der die Ideen der Aufklärung für Quatsch hält, trotzdem mit demjenigen, der schwärmerisch an die Ideen der Aufklärung glaubt, ins Gespräch einsteigt, gibt demjenigen, der die die Aufklärung für möglich hält, recht. Weil der Zyniker das ja sonst gar nicht tun müsste. Sonst könnte der Zyniker sich aus diesen Gesprächen herausdefinieren. Sonst könnte er sagen: »Ich breche das Gespräch ab.« Das Gespräch hat nur Sinn, wenn ich unterstelle, dass ich einen Effekt durch mein Sprechen beim anderen haben kann. Ansonsten wäre es maximal Egozentrik, aber vor allen Dingen Energieverschwendung. Nur wenn ich glaube, dass mein Sprechen, mein Diskutieren einen Effekt beim anderen hat, hat dieser ganze Aufwand einen Sinn. Und diese Unterstellung gibt demjenigen Recht, der am Ende sagt, diese Verständigung im Gespräch, das Schlauerwerden im Miteinander, Beieinander, im Dissens bleiben, hat einen Wert. Und das ist die Grundidee der Aufklärung.

Und insofern möchte ich Danke sagen für – auch auf diesem Kongress –, für die Bereitschaft, den Mut aufzubringen, sich des eigenen Verstandes zu bedienen und das auch noch öffentlich zu tun. Also nicht nur im eigenen Zimmer nachdenken und für sich recht behalten, sondern ich gehe da raus, ich stelle etwas in diesen öffentlichen Raum, weil dieser öffentliche Raum ein Geschenk einer Demokratie ist, den wir bewahren müssen. Gleichzeitig aber sich immer nur so füllt, wie wir unsere Praxis in ihm gestalten. Und es sind momentan ziemlich viele in diesem öffentlichen Raum, die die Praxis des öffentlichen Gesprächs maximal toxisch gestalten. Eva Menasse hat Beispiele gezeigt, dass es anders gehen kann. Rausgehen und zeigen, man kann sprechen, man kann gerade mit denen sprechen, mit denen man nicht einig ist, weil das Gespräch darauf beruht, dass ich nicht einig bin. Sonst gucke ich mich an, nicke mir zu, und sage, wir wissen ja, was wir voneinander meinen. Ich fange an zu sprechen, wenn ich nicht einig bin, und versuche dann herauszufinden, mit welcher Begründung der andere eine andere Position vertritt. Und im besten Fall vollziehe ich die nach. Im besten Fall vollziehe ich die auch nicht nach, einige mich auf etwas Drittes. Aber ich verstehe mehr nach dem Gespräch, als ich vorher verstanden habe und in diesem Sinne die Unterstellung zu treffe, dass es möglich ist, miteinander zu sprechen. Es ist möglich miteinander, wenn wir uns die Freiheit gewähren, Differenzen im öffentlichen Raum auszuhalten, gemeinsam schlauer zu werden. Das ist die Unterstellung unserer Demokratie, das ist die Unterstellung des PEN Berlin. Und deswegen trete ich jetzt von der Bühne ab.

Geringfügig redigierte und gekürzte Abschrift eines frei gesprochenen Grußworts von Carsten Brosda zum Kongress »So kommen wir weiter« am 2. November 2024 in der Fabrik Altona in Hamburg

*Carsten Brosda, geboren 1974, ist Senator der Hamburger Behörde für Kultur und Medien und Präsident des Deutschen Bühnenvereins.

[Überblick über alle Beiträge des Kongresses]

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