Philipp Ruch Impulsreferat für AfD-Verbot

Impulsreferat auf dem Kongress des PEN Berlin am 2. November 2024 in Hamburg
Diskussionsveranstaltung »Nazis verbieten«

Die AfD hegt keine »Gewaltfantasien«, sie verspricht Staatsverbrechen

Von Philipp Ruch

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Wie werden die Dinge enden? Wie wird die Sache mit einer Partei ausgehen, die Millionen Menschen deportieren will? Die offen ankündigt, den Parteienstaat abzuschaffen. Die sich angewidert von unserer offenen, pluralen Gesellschaft abwendet, weil sie eine »Mischlingsgesellschaft« zu sehen meint.

Philipp Ruch
Philipp Ruch bei seinem Inputreferat in der Fabrik Altona. Foto: Marie Eisenmann

Die AfD ist kein Schriftstellerverband, der Gewalt fantasiert. Die AfD ist ein politischer Zusammenschluss, der mit Gewalt fanatisiert. Was eine Schriftstellerin sagt, gehört vielleicht ins Reich der Fantasie. Oder in ein Buch. Was eine politische Partei sagt, kriecht auf dem Boden von Ankündigungen in unsere Gesetzesbücher. Die AfD hegt keine »Gewaltfantasien«. Was sie fordert und verspricht, sind Staatsverbrechen.

So könnten wir sehen, wie die Dinge enden: Was wir zu Fieberträumen des deutschen Rechtsextremismus erklären, sind in der Sphäre des Politischen Ankündigungen. Oder Versprechen. Das sage nicht ich. Das sagt das Bundesverfassungsgericht. Worte einer Partei wachsen sich mit Macht stets zu Taten aus. Wir sollten unsere Hoffnungen nicht an die Illusion hängen, dass das, was die AfD sagt, nicht genau das ist, was sie will.

Als der deutsche Rechtsextremismus das letzte Mal die Gelegenheit erhielt zu regieren, führte er das eindrucksvoll, nein spektakulär vor: es übertraf wirklich jede Erwartung. Kein Intellektueller sah das kommen. Nicht Ossietzky, nicht Tucholsky, nicht Rudolf Olden, Theodor Lessing, Konrad Heiden oder Hannah Arendt. Uns fällt es nach der großen Katastrophe leichter, die Dinge kommen zu sehen. Wie wird es 2033 sein? Zur Feier von »100 Jahre 1933?« Um das herauszufinden, um zu verstehen, wie tief die Wortwaffen dringen werden, die heute viele unserer Zeitgenossen verängstigen, verletzen und stechen, habe ich Vergangenheit und Zukunft gleichermaßen betrachtet und über diese eigentümliche Erfahrung ein Buch geschrieben. Das Fazit lautet: »Es ist 5 vor 1933.«

Ich habe mich von Stefan Zweig inspirieren lassen, seinem Geist, seiner Größe, vor allem aber seiner Gewissheit. Das Buch sollte ursprünglich »Die Welt von Heute« heißen. Die Welt von Gestern« wird getragen durch eine Gewissheit, die über all das hinausgeht, was 1941 im Entstehen ist und was Stefan Zweig im fernen Petropolis deshalb gar nicht sehen kann. Trotzdem, er sieht! Weil er Verhaltensstudien getrieben und das Wesen des politischen Projektes der NSDAP erkannt hat, und zwar so sehr, dass es ihm das Leben nimmt – und nicht er sich.

Es wurde gewählt – und wie!

Der deutsche Rechtsextremismus, meine Damen und Herren, hat den Holocaust zu verantworten. Sein jüngstes Erzeugnis, die AfD, tut nicht einmal so, als sei sie geläutert. Ich wurde gebeten, an dieser Stelle für alle möglichen Verbote gegen Nazis zu argumentieren: von Compact, Desiderius-Stiftung bis Rockerclub. Ich halte nichts vom Compact-Verbot, weil es vom Wesentlichen ablenkt. Einer AfD, die auf dem Weg zur Macht ist.

PEN Berlin Kongress Publikumsdebatte
Debatte im Publikum. Foto: Marie Eisenmann

Ich habe die Weimarer Republik im Begriff der »wehrhaften Demokratie« neu betrachtet. Die überraschende Erkenntnis ist, dass Weimar ungleich wehrhafter gegen die NSDAP auftritt, als die Welt von Heute gegen die AfD. Weimar setzte sich ab 1929 in Ländern wie Bayern und Preußen überraschend militant zur Wehr, »scharf«, wie es in der Diktion von damals heißt. »Stützelpolizei«, wie die NSDAP so schön klagt. Benannt nach dem bayrischen Innenminister Karl Stützel, der öffentlich verspricht: »Verlassen Sie sich darauf, gegen die Nazis werden wir schießen, wenn es eines Tages erforderlich sein wird.«

Nun, wir haben keinen Innenminister, der wie Karl Stützel die AfD bekämpft. Wenn es uns ernst wäre mit der staatlichen Wehrhaftigkeit, müssten wir der AfD nicht den Weg an die Macht versperren? Es wenigstens versuchen? Dass die Bundesrepublik im Vergleich zu Weimar die »wehrhaftere Demokratie« sei, ist eine Täuschung. Keine optische, eine geistige. Unser Selbstverständnis, unser Stolz, unsere Superiorität mögen von dieser Illusion abhängen. Unser Gefühl der Überlegenheit.

Die Welt von Heute lässt der Geschichte schicksalsergeben ihren freien Lauf. Eine Art »Geschichtsliberalismus«. Trotz NSDAP. Trotz Holocaust. Die AfD wird schon keinen Dritten Weltkrieg anzetteln. Oder?

Wir wollen, wie Christian Morgensterns Palmström, »entschlossen« mit dem deutschen Rechtsextremismus »weiterleben«. Wir rechnen uns das als Zeichen unseres Großmuts hoch an. Sie werden uns schon am Leben lassen. Oder? Dahinter steht die verrückte Idee, den Rechtsextremismus mit Wohlverhalten niederzusiegen. Wenn wir nur artig genug sind, wird er uns schon in Ruhe lassen.

Obwohl Walter Lübcke auf seiner Terrasse von einem AfD-Wahlkampfhelfer erschossen wird. Obwohl in meiner Heimatstadt Dresden der SPD-Politiker Matthias Ecke ins Krankenhaus geprügelt wird. Und obwohl in Thüringen das Haus eines anderen SPD-Parteikollegen des Kanzlers brennt, weil er das kapitale Verbrechen begeht, eine Demonstration gegen die AfD anzumelden, empfiehlt Scholz, Olaf als Rezeptur gegen die AfD: »Wählen gehen«. Nun, meine Damen und Herren, es wurde gewählt. Und wie.

Sonst versagen wir − Schon wieder

Der Rechtsextremismus steht im Osten bei 30 Prozent. Welche Konsequenzen das für die Zivilgesellschaft in Sachsen oder Thüringen hat, darüber dürften die meisten sich im Klaren sein. Aber sehen sie es auch kommen? 84 Jahre, nachdem der deutsche Rechtsextremismus das Haus in Brand gesteckt hat, wenn wir dem amerikanischen Historiker Benjamin Carter Hett Glauben schenken dürfen, ließen wir den deutschen Rechtsextremismus erneut ins Parlamentsgebäude einziehen. Im Namen des Großmuts. Er wird es schon nicht wieder anzünden. Oder?

Ruch Werdermann
Kontrahenten David Werdermann (l.), Philipp Ruch Foto: Marie Eisenmann

Nun, genau das hat er vor: Gegenwärtig findet einer der größten Massenprozesse in der Geschichte der Bundesrepublik statt. Die Öffentlichkeit schenkt den Verfahren an drei Oberlandesgerichten gleichzeitig beschämend wenig Beachtung. Bei der Hauptangeklagten handelt es sich um eine AfD-Bundestagsabgeordnete, der der Generalbundesanwalt vorwirft, ihre Mittäter schon ins Reichstagsgebäude geführt zu haben, um festzulegen, von wo das Parlament diesmal angezündet wird.

Wir sind bei alledem nicht blind. Wir haben uns einfach darauf verlegt, mit Staatsfeinden im Parlament wie mit einer vorübergehenden Krankheit entschlossen weiterzuleben. Sie werden schon nicht die Regierung bekommen. Oder?

Willkommen in Palmströms Bundesrepublik. Denn da will uns wer überfahren.

 

Palmström, etwas schon an Jahren, / wird an einer Straßenbeuge / und von einem Kraftfahrzeuge / überfahren.
»Wie war« (spricht er, sich erhebend / und entschlossen weiterlebend) / »möglich, wie dies Unglück, ja –: / dass es überhaupt geschah?

Obschon Bundestagsabgeordnete mit voller Wucht gegen die Schutzwände der Demokratie prallen, obschon Thüringer Landesvorsitzende ihre Wortfahrzeuge mit aller Kraft in die letzten Überlebenden des Holocaust steuern, richten wir uns als Gesellschaft auf, »entschlossen weiterlebend«, als wäre nichts geschehen.

Eingehüllt in feuchte Tücher,
prüfen wir die Gesetzesbücher
und sind uns alsobald im Klaren:
Rechtsextreme durften hier nicht fahren!

Das ist kein Spiel mehr. Die AfD will an die Macht. Und wir dürfen es nicht dem freien Markt oder dem geschichtlichen Zufall überlassen, ob sie regieren wird oder nicht. Wir müssen die Natur der Bedrohung verstehen, mit der wir es zu tun haben. Jetzt. Bevor es zu spät ist. Nie wieder! Wir brauchen ein Verbot der »Alternative für Deutschland«. Sonst versagen wir. Schon wieder. Vielen herzlichen Dank!

 

Manuskript des Referats, das Philipp Ruch am 2. November 2024 auf dem Kongress »So kommen wir weiter« des PEN Berlin in der Fabrik Altona in Hamburg im Rahmen der Diskussionsveranstaltung »Nazis verbieten?« gehalten hat. 

* Dr. Philipp Ruch, geboren 1981 in Dresden, Autor, Philosoph, Aktionskünstler und Gründer des Zentrums für Politische Schönheit, das u.a. durch die Installation »Bau das Holocaust-Mahnmal vor Höckes Haus!« bekannt wurde. Zuletzt erschien: »Es ist 5 vor 1933: Was die AfD vorhat – und wie wir sie stoppen« (Ludwig, 2024)

[Die Gegenrede von David Werdermann als Text lesen oder als Audio hören oder die anschließende Publikumsdebatte als Audio hören]
[Überblick über alle Beiträge des Kongresses]

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