David Werdermann Impulsreferat gegen AfD Verbot

Impulsreferat auf dem Kongress des PEN Berlin am 2. November 2024 in Hamburg
Diskussionsveranstaltung »Nazis verbieten«

Freiheit, auch für die Feinde der Freiheit!

Von David Werdermann

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Eins vorweg: Die extreme Rechte ist eine Gefahr für die Demokratie und die Menschen in diesem Land. Es geht daher nicht darum, ob Nazis bekämpft werden sollen, sondern wie.

David Werdermann
David Werdermann bei seinem Inputreferat in der Fabrik Altona. Foto: Marie Eisenmann

In der Diskussion darüber haben Verbotsforderungen Konjunktur. In und außerhalb des Bundestags wird für ein Verbotsverfahren gegen die AfD getrommelt. Als Nancy Faeser im Sommer das rechtsextreme Compact-Magazin verbot, bekam sie auch von progressiver Seite Applaus. Die bisher größte Petition in der Geschichte der Bundesrepublik fordert, Björn Höcke die Grundrechte zu entziehen, und wenn Nazis demonstrieren, wird nach einem harten Durchgreifen der Polizei gerufen. Zur Begründung all solcher Forderungen berufen sich sowohl linke Aktivistinnen als auch liberale Journalisten nicht selten auf den Inlandsgeheimdienst, den sogenannten Verfassungsschutz. 

Wie kommt es, dass Personen, die sonst die Grundrechte hochhalten und staatlichen Eingriffen kritisch gegenüberstehen, nun Verbote fordern und den Staat anrufen? Muss es als Ausdruck einer allgemeinen Tendenz hin zu autoritären Konfliktlösungsstrategien verstanden werden?

Dass es sich im Kern um autoritäre Politik handelt, wird von Philipp Ruch nicht bestritten. Seine Forderung nach einem AfD-Verbot begründen er in seinem Buch mit einem »autoritären Humanismus«.1 Das ist erfrischend ehrlich. Denn mit liberalen und demokratischen Prinzipien haben diese und andere Verbotsforderungen wenig gemein, wie ich Folgenden ausführen möchte. Daran anschließend, lege ich dar, warum ich speziell die Forderung nach einem AfD-Verbotsverfahren auch aus strategischen Gründen für falsch halte.

In der Demokratie vollzieht sich die Willensbildung von unten nach oben. Im Austausch untereinander und mit Hilfe der Medien bilden sich die Bürger:innen Meinungen; sie organisieren sich in Vereinen und tragen ihre Überzeugungen in Versammlungen nach außen; sie gründen Parteien und nehmen an Wahlen teil. Die Bürger:innen begegnen sich dabei als Gleiche. Das Ideal gleicher Freiheit und seine rechtliche Absicherung ist zentrales Element der Demokratie.

Die Grundrechte, von der Meinungs- und Pressefreiheit über die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit bis hin zur Parteienfreiheit und zum Wahlrecht, gelten daher auch für Gegner:innen der Demokratie. Keine staatliche Instanz soll »von oben« in den Willensbildungsprozess eingreifen und darüber entscheiden können, wer an ihm teilnehmen darf und wer nicht. Der demokratische Staat ist auf Demokrat:innen angewiesen, kann sie aber nicht erzwingen. Oder wie der liberale Staatsrechtler Hans Kelsen es 1953 formulierte: »Die Demokratie kann sich nicht dadurch verteidigen, dass sie sich selbst aufgibt.«2

Faschismus ist ein Verbrechen, die Befürwortung des Faschismus eine Meinung

Die Verbots-Befürworter:innen verweisen demgegenüber darauf, dass Deutschland eine wehrhafte Demokratie sei. Und damit haben sie nicht ganz Unrecht: Nach Art. 9 Absatz 2 Grundgesetz können Vereinigungen, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten, verboten werden. Art. 18 Grundgesetz regelt die sogenannte Grundrechtsverwirkung und nach Art. 21 Abs. 2 und 3 können Parteien verboten bzw. von der staatlichen Finanzierung ausgeschlossen werden.

PEN Berlin Kongress Publikumsdebatte
Publikumsdebatte: Das Saalmikrofon haltend Aron Boks, ins Saalmikrofon sprechend John Steinmark, vorne Eva Menasse (l.) und Simone Buchholz. Foto: Marie Eisenmann

Dass die sogenannte »wehrhafte Demokratie« im Grundgesetz punktuell eine Grundlage hat, ändert jedoch nichts an der ihr innewohnenden Widersprüchlichkeit. Entsprechend deutlich fällt auch die Kritik vieler Politik- und Rechtswissenschaftler:innen an diesen Normen aus: Die »wehrhafte Demokratie« sei eine allenfalls »zaghaft-halbierte Demokratie, die ein vormundschaftlicher Staat gegen seine ›Staatsbürger‹ verwaltet«,3 Freiheit werde in ihr »auf Sparflamme«4 gekocht. Das Parteiverbot sei ein »Konstrukt antiliberalen und antidemokratischen Denkens«5, eine »einzigartige Schöpfung westdeutschen Verfassungsgeistes, in der Kalter Krieg und hilfloser Antifaschismus eine vordemokratische Symbiose eingegangen sind«,6 zumindest jedoch ein »Fremdkörper« im System einer freiheitlichen Demokratie.7 Selbst das Bundesverfassungsgericht bezeichnet Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz, die Grundlage für Parteiverbote, als »demokratieverkürzende Ausnahmenorm«.

Entsprechend hat das Gericht deutlich gemacht, dass es die wehrhafte Demokratie nicht als Pauschal-Ermächtigung für beliebiges Vorgehen gegen Verfassungsfeinde verstanden wissen will. Das Grundgesetz, so die Karlsruher Richter:innen in der Wunsiedel-Entscheidung, vertraue auf die »Kraft der freien Auseinandersetzung als wirksamste Waffe auch gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien«. Selbst die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts falle nicht von vornherein aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit heraus.8

In anderen Worten: Faschismus ist ein Verbrechen. Aber die Befürwortung des Faschismus ist eine Meinung. Und als solche darf sie nicht wegen ihres Inhalts verboten werden. Freiheit, auch für die Feinde der Freiheit!

Legitim ist es demgegenüber, Rechtsgutverletzungen zu unterbinden, auch wenn sie von Meinungsäußerungen ausgehen.9 Zu denken ist hier etwa an die Straftatbestände der Volksverhetzung oder der Billigung von Straftaten, die mittelbar Gewalt verhindern sollen. Zu diskutieren wäre auch, wann menschenwürdewidrige Äußerungen die Schwelle zur Rechtsgutsverletzung überschreiten. Anknüpfungspunkte finden sich unter anderem im Tatbestand der Beleidigung und im Antidiskriminierungsrecht. Dieser Ansatz ist jedoch streng von einer Politik zu unterscheiden, die Verfassungsfeinden von vornherein das Recht abspricht, an der Willensbildung teilzuhaben.

Auch Vereinsverbote dürfen laut Karlsruhe kein Mittel sein, Meinungsäußerungen oder Publikationen zu untersagen, die für sich genommen den Schutz der Presse- und Meinungsfreiheit genießen.10 Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass das Compact-Verbot vom Bundesverwaltungsgericht vorläufig aufgehoben wurde. Das Bundesinnenministerium hatte durch die Hintertür des Vereinsrechts eine Zeitung verboten.

Bessere Maßnahmen sind nicht gescheitert − sie wurden noch gar nicht versucht

Anders sind Parteiverbote zu bewerten, zumindest rechtlich: Eine Partei kann laut Bundesverfassungsgericht auch dann verfassungswidrig sein, wenn sie ihre verfassungsfeindlichen Ziele ausschließlich mit legalen Mitteln und unter Ausschluss jeglicher Gewaltanwendung verfolgt. Denn das Parteiverbot, so das Verfassungsgericht, stelle gerade auch eine Reaktion auf die von den Nationalsozialisten verfolgte Taktik der »legalen Revolution« dar, die die Machterlangung auf legalem Weg anstrebte.11 Das Problem ist: Die »legale Machterlangung« ist ein Mythos, der durch NS-Propaganda in die Welt gesetzt wurde und wohl vor allem deshalb noch heute so wirkmächtig ist, weil NS-Täter ihn in der Nachkriegszeit zur Entlastung nutzten. In Wirklichkeit war das Vorgehen der Nazis und deren Machtübernahme alles andere als legal und gewaltfrei.12 Die Grundlage für Parteiverbote beruht somit auf einem historischen Fehlurteil.

Ruch Werdermann
Kontrahenten David Werdermann (stehend), Philipp Ruch Foto: Marie Eisenmann

Dass sie ins Grundgesetz aufgenommen wurde, bedeutet nicht, dass von ihr Gebrauch gemacht werden muss. Anders als die Befürworter:innen des AfD-Verbots gerne behaupten,13 sind Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat nicht verpflichtet, ein Verbotsverfahren einzuleiten. Vielmehr haben sie ein politisches Ermessen, das sie auch gegen einen Verbotsantrag ausüben können. Dafür sprechen dabei auch verschiedene strategische Gründe. Hier seien nur einige genannt:

Der Ausgang des Verfahrens ist offen. Ein Scheitern des Verbotsverfahrens könnte als Persilschein für die AfD verstanden werden und die ohnehin schon bröckelnde Brandmauer ganz zum Einsturz bringen.

Die AfD könnte sich als Opfer inszenieren. Klar, das macht sie ohnehin ständig. Aber in diesem Fall träfe es zu. Sie würde zum Opfer eines schwerwiegenden staatlichen Eingriffs in die Parteienfreiheit.

Das Verbot müsste mit großem Aufwand durchgesetzt werden. Die damit einhergehende massive Repression kann über das Parteiverbot hinaus den freien Diskurs beeinträchtigen. Man denke an das Verbot der Bildung von Ersatzorganisationen oder die Strafbarkeit, Kennzeichen der verbotenen Partei zu verwenden und ihre Inhalte zu verbreiten.

Die Verbotsforderung verspricht eine scheinbar einfache Lösung für ein komplexes Problem. Sie lenkt damit ab von Maßnahmen ab, die möglicherweise schwieriger durchzusetzen sind, aber langfristig wirken würden: Reichtum umverteilen, Antidiskriminierungsrecht ausbauen, demokratische Zivilgesellschaft stärken. Diese oder andere Maßnahmen sind nicht gescheitert. Sie wurden noch gar nicht ernsthaft versucht.

Was sich heute gegen die AfD richtet, kann morgen gegen andere unliebsame Gruppierungen eingesetzt werden. Wer von wehrhafter Demokratie redet, darf über das KPD-Verbot, den Radikalenerlass und die Bespitzelung von Klimaaktivist:innen durch den sogenannten Verfassungsschutz nicht schweigen, um nur einige Beispiele aus verschiedenen Jahrzehnten zu nennen. Wer, wie Philipp Ruch, darüber nachdenkt, Parteiverbote per Verwaltungsakt und ohne »umständliches Antrags- und Beweisverfahren« zu ermöglichen,14 sollte in seine Erwägungen einbeziehen, was eine Regierung unter AfD-Beteiligung damit machen würde.

Auch mit Blick auf den Schutz von Minderheiten droht ein AfD-Verbotsverfahren zum Bumerang zu werden. Denn es weist das Problem allein der AfD zu und externalisiert damit den Rassismus der anderen Parteien und der sogenannten gesellschaftlichen Mitte.

Die Rufe nach Verboten sind daher in vielen Fällen nicht nur demokratietheoretisch und rechtlich fragwürdig, sondern auch strategisch unklug. Die Lage ist ernst, aber sie ist kein Grund, demokratische Prinzipien über Bord zu werfen.

Fußnoten

(1) Ruch, »Es ist 5 vor 1933«, 2024, S. 221
(2) Kelsen, »Was ist Gerechtigkeit«, Nachdruck 2016, S. 76
(3) Leggewie/Meier, Blätter für deutsche und internationale Politik 10/2012, S. 63-74
(4) Meier, Merkur 2/2014, S. 97
(5) Ridder, in Mück, »Verfassungsrecht«, 1975, S. 85-134
(6 Leggewie/Meier, »Republikschutz«, 1995, S. 65
(7) v. Münch, »Grundgesetz-Kommentar«, Art. 21, Rn. 103
(8) BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 04. November 2009 – 1 BvR 2150/08 -, Rn. 50
(9) BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 04. November 2009 – 1 BvR 2150/08 -, Rn. 72 ff.
(10) BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 13. Juli 2018 – 1 BvR 1474/12 -, Rn. 93
(11) BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 -, Rn.578
(12) Deiseroth, »Die Legalitäts-Legende«, Blätter für deutsche und internationale Politik 2/2008, S. 91
(13) Ruch, »Es ist 5 vor 1933«, 2024, S. 206f.
(14) Ruch, »Es ist 5 vor 1933«, 2024, S. 218

Manuskript des Referats, das David Werdermann am 2. November 2024 auf dem Kongress »So kommen wir weiter« des PEN Berlin in der Fabrik Altona in Hamburg im Rahmen der Diskussionsveranstaltung »Nazis verbieten?« gehalten hat. 

* David Werdermann, geboren 1989, Jurist, arbeitet als Rechtsanwalt in einer Berliner Kanzlei und als Projektkoordinator bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Seine Schwerpunkten sind Verfassungs-, Informationsfreiheits- und Verwaltungsrecht, dazu publiziert er regelmäßig Beiträge in Zeitungen sowie in Portalen wie Verfassungsblog und Legal Tribune Online

[Die Gegenrede von Philipp Ruch als Text lesen oder als Audio hören oder die anschließende Publikumsdebatte als Audio hören]

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