Vorstellung inhaftierter Autor:innen auf dem Kongress »So kommen wir weiter« am 2. November 2024 in Hamburg
Ägypten, Vietnam, Iran: Eingesperrt, weil Machthaber fürchten, was sie sagen
Alaa Abd el-Fattah: Zehn Jahre und kein Ende
Ihnen sind bestimmt die roten und blauen Poster aufgefallen, die hier überall an den Wänden hängen, mit den Namen und Gesichtern von insgesamt sieben inhaftierten Kolleginnen und Kollegen. Drei davon werden wir heute im Laufe des Tages hier auf der Bühne vorstellen.
Ich mache jetzt den Anfang mit Alaa Abdel Fattah, dem prominenten ägyptischen Autor, Blogger und Menschenrechtsaktivisten. Aber, dass ich das machen muss, hätte eigentlich gar nicht sein dürfen. Denn vor einem Monat, also am 29. September 2024, wäre eigentlich sein Entlassungstag gewesen.
Dann jedoch wurde, am Enddatum seiner zweiten. fünfjährigen Haftperiode innerhalb von zehn Jahren, seine Entlassung spontan auf drei weitere Jahre verlängert. Zehn Jahre Haft also, und wenn man die vielen monatelangen Inhaftierungen seit 2011 mitrechnet, alle aufgrund seiner Texte und seines politischen Engagements, dann werden es noch mehr.
Alaa ist 43 Jahre alt, hat seinen inzwischen 13 Jahre alten Sohn Khaled kaum gesehen, seine Mutter Laila Soueif seit dem 30. September 2024 in Hungerstreik.
Alaa ist aber auch wirklich ein großartiger Essayist, und eine Sammlung seiner Essays, die teilweise aus dem Gefängnis geschmuggelt werden mussten, ist 2021 unter dem Titel »You Have Not Yet Been Defeated« bei Fitzcarraldo erschienen, 2022 die deutsche Übersetzung im Verlag Klaus Wagenbach »Ihr seid noch nicht besiegt, mit einem Vorwort von Naomi Klein. Am 10. Oktober 2024 teilte Arundathi Roy den PEN Pinter Prize des English PEN mit Alaa Abdel Fattah, er selbst wurde mit dem Writer of Courage Award ausgezeichnet.
Ich lese jetzt aus »A Profile Of the Activist Outside His Prison«, einem Essay von Alaa Abd el-Fattah aus dem Jahr 2017: »Ich habe für mich aus einem wütenden Jahrzehnt nicht mehr als ein paar einfache Dinge gelernt. Ich habe gelernt, dass jede Etappe einer gesellschaftlichen Debatte oder Auseinandersetzung eine Chance bedeutet. Eine Chance zum gegenseitigen Verständnis, eine Chance zur Vernetzung, eine Chance zum Träumen und Pläne schmieden. Selbst dann, wenn alles eindeutig und unstrittig scheint. Selbst, wenn wir uns in einem Streitpunkt klar einer Seite angeschlossen oder von Anfang an herausgehalten haben, bleibt es eine Notwendigkeit, diese Chancen zu ergreifen, den Dingen neue Bedeutungen zu geben und ihnen nachzugehen. Ohne das werden wir die Situation der Niederlage nie überwinden. Ich habe gelernt, dass herrschende Regime bloße Hindernisse sind. Die wahren Herausforderungen sind immer internationaler Art. Deshalb ist es so wichtig, Debatten zu führen.
Zu guter Letzt: Es ist grundsätzlich nicht sinnvoll, für die stärkere Seite Partei zu ergreifen. Die Mächtigen brauchen euch nicht, außer dafür, ihre Propaganda nachzubeten. Die Schwachen hingegen sorgen oft für so viel Ärger, wie sie selbst erleiden. Ihre Argumente und Diskurse sind häufig ebenso brüchig, wie ihre gesellschaftlichen Positionen und ihre schwindenden Aussichten auf Sicherheit und Überleben. Sich auf ihre Seite zu schlagen, und sei es nur als Experiment, hilft uns, tiefer zu reflektieren, zu forschen, zu analysieren und zu imaginieren.
Sandra Hetzl, Übersetzerin und Autorin, seit Dezember 2022 Board-Mitglied des PEN Berlin
Phạm Đoan Trang: Führende Persönlichkeit der zeitgenössischen Dissidenz:
Ich will nicht, dass man meine Freilassung fordert. Ich will eine breite soziale Bewegung, die die Regierung in Vietnam auffordert, mich freizulassen und freie Wahlen abzuhalten.
Das schrieb Phạm Đoan Trang kurz vor ihrer Verhaftung. Phạm Đoan Trang ist, in ihren eigenen Worten, ein Mensch, der sich für den sozialen Wandel einsetzt, eine Autorin und Journalistin, die schreibt, damit die Öffentlichkeit für Demokratie und Menschenrechte sensibilisiert wird. Ihre Bücher, darunter »Non-Violent Resistance« (»Gewaltfreier Widerstand«) oder »Politics for Everyone« haben den unabhängigen Journalismus und das zivilgesellschaftliche Engagement in Vietnam vorangetrieben und unzählige junge Menschen inspiriert, sich für Freiheit und Menschenrechte einzusetzen.
Dafür hat Phạm Đoan Trang einen hohen Preis bezahlt: Im Jahr 2015 wurde sie bei einer Umweltdemonstration von Sicherheitskräften so schwer zusammengeschlagen, dass sie seitdem mit einer Gehbehinderung leben muss. 2020 wurde sie mitten in der Nacht verhaftet und wegen »staatsfeindlicher Propaganda« zu neun Jahren Haft verurteilt.
Aus ihrer Zelle schrieb sie, dass sie sich vor allem eins wünsche: dass man ihre Bücher liest. Es sind die Bücher einer »der führenden Persönlichkeiten der zeitgenössischen Dissidenz«, so die tschechische Menschenrechtsorganisation People in Need, die Phạm Đoan Trang im Jahr 2017 den Homo Homini Award verlieh, einen Preis für herausragende Verdienste für die Menschenrechte, Demokratie und die gewaltfreie Lösung politischer Konflikte.
Im Mai dieses Jahres habe ich ein Buch von ihr gelesen, im letzten Stock des größten Finanzhochhauses in Ho-Chi-Minh-City, Saigon, der Finanzhauptstadt Vietnams. »Das Antiautoritäre Handbuch«. Das Buch ist in Vietnam verboten und ich musste es heimlich lesen, während draußen auf 200 Meter Höhe der Regen gegen die riesigen Panoramafenster prasselte. Der Zufall wollte es, dass der Autorin genau im selben Augenblick ein Preis verliehen wurde, der »Barbey Freedom to Write Award« von PEN America. Das wusste ich in dem Moment nicht. Ein Preis und eine Mahnung. Ihr Anwalt und Kampfgefährte sagte, als er diesen Preis für sie entgegennahm:
Obwohl Phạm Đoan Trang selbst nicht ihre persönliche Freiheit fordere, sondern die kollektive Freiheit Vietnams: Wenn sie frei sei, könne er es kaum erwarten, ihr zu sagen: Jetzt mit ihrer eigenen Freiheit kann der Kampf für die Freiheit in Vietnam beginnen.
Wir schließen uns dem an und fordern von der Regierung Vietnams die Freilassung von Phạm Đoan Trang und die Abhaltung freier Wahlen. Und lesen Sie ihre Bücher.
Jayrôme Robinet, Schriftsteller und Leiter der Geschäftsstelle des PEN Berlin
Toomaj Salehi: Vom Rapper zur Ikone des Widerstands
»Wenn du den Schmerz der Bevölkerung siehst, aber deine Augen verschließt,
Wenn du die Tyrannei des Tyrannen siehst und ignorierst,
Wenn du aus Angst oder zum eigenen Nutzen Dinge bereust,
bist du ein Komplize des Tyrannen,
ein Verbrecher,
wenn du so tust, als würdest du schlafen,
wenn Blut fließt,
wenn du selbstsüchtig bist,
während der Jugend das Leben genommen wird,
Wenn du in dem Spiel neutral bleibst und politisch ignorant.«
Das ist der von Google-Translate recht ärmlich übersetzte Ausschnitt aus einem Song von Toomaj Salehi mit dem Titel »Mauseloch«. Doch dieser Ausschnitt genügt, um eine Ahnung davon zu bekommen, was die Kunst des iranischen Hip-Hop-Artists Toomaj Salehi im Iran und für jenen freiheitsliebenden Teil des Iran bedeutet, den es zu unterstützen gilt und den der PEN Berlin seit seiner Gründung mit aller Kraft unterstützt.
Toomaj Salehi singt, um ein weiteres Beispiel zu geben, auch davon, dass Haare im Wind im Iran ein Verbrechen sind. Das erinnert Sie natürlich an den Tod der Kurdin Zhina Mahsa Amini durch Polizeigewalt, Sittenpolizeigewalt. Das hatte Ende 2022 eine der größten iranischen Protestwellen der letzten Zeit ausgelöst – und Toomaj Salehi ist für seine jüngeren Landsleute zu einer Ikone dieses Widerstands gegen das Mullah-Regime geworden.
Toomaj Salehi wird im Dezember 34 Jahre alt, und er wird dann seit zwei Jahren Ehrenmitglied des PEN Berlin sein. Die Ernennung würdigt seine künstlerische Tätigkeit und seinen regimekritischen Wort-Einsatz für soziale Gerechtigkeit und Frauen- und Arbeiterrechte sowie gegen Korruption im Iran. Die Ernennung zum Ehrenmitglied ist aber ebenso die Ultima Ratio unseres Vereins, auf besonders gefährdete Autoren und Künstler aufmerksam zu machen.
Toomaj Salehi wurde im Herbst 2022 während der massiven Proteste gegen die Führung des Mullah-Regimes festgenommen. Iranische Staatsmedien veröffentlichten daraufhin ein Video des Rappers mit verbundenen Augen, in dem er sich für seine Kritik entschuldigt – Sie können sich vorstellen, unter welchen Umständen es zu solchen angeblichen Entschuldigungen kommt.
Im April dieses Jahres verurteilte ein Revolutionsgericht dann Toomaj Salehi zum Tode für seinen gesellschaftlichen Kampf. Der Vorwurf lautete »Korruption auf Erden« – ein Kapitalverbrechen nach islamischem Recht. Immerhin hatte er die Möglichkeit, gegen das Urteil vor dem Obersten Gerichtshof Berufung einzulegen. Im vergangenen Juni wurde das Todesurteil aufgehoben, doch Toomaj Salehi blieb in Haft, wo ihm viele Jahre Gefängnis drohen.
Wir appellieren an die zuständigen deutschen Behörden, alle möglichen diplomatischen Wege zu gehen, Toomaj Salehi außer Landes zu bringen, an einen sicheren Ort, an dem sich niemand dafür entschuldigen muss, ein fundamentalistisches Unrechtsregime zum Teufel zu wünschen.
Alexandru Bulucz, Lyriker und Schriftsteller, von Juni 2022 bis November 2024 Board-Mitglied des PEN Berlin