Archiv 2023

[Interviews, namentlich gezeichnete Beiträge oder offene Briefe, die einzelne Boardmitglieder unterzeichnet haben, geben nicht notwendig die Ansichten des gesamten Boards des PEN Berlin wieder.]

Verschiedenes (Februar/März 2023)

Zur Verhaftung von Evan Gershkovich in Russland

Welt, Kommentar von Deniz Yücel, 31. März 2023: »Das tatsächliche Muster ist ein anderes: Ein Regime, das den Übergang vom Autoritarismus zur Diktatur vollzogen hat, knöpft sich, nachdem es die inländischen Kritiker eingesperrt, vertrieben oder anderweitig zum Schweigen gebracht hat, die ausländischen Berichterstatter vor. Nimmst du einen fest, schüchterst du alle ein. Der Trick ist einfach. Aber er wirkt. Leider.« LINK [€]

 

Zur Justizreform in Israel

Der Standard, Bericht, 15. März 2023: »Jüdische österreichische Autoren und Autorinnen von Elfriede Jelinek über Robert und Eva Menasse bis Doron Rabinovici melden sich in einem offenen Brief gegen die aktuelle Politik der israelischen Regierung zu Wort und stellen sich darin auf die ›Seite all jener, die gegen die Entmachtung des Obersten Gerichtshofes protestieren‹.« LINK

Zur Verleihung des Jakob-Wassermannpreises an Eva Menasse

BR 24, Regionalzeit, Bericht von Dirk Kruse, 9. März 2023: »Eva Menasse erhält den Jakob-Wassermann-Literaturpreis der Stadt Fürth 2023 in Anerkennung ihres ›facettenreichen erzählerischen und essayistischen Werks, das in einem unverwechselbaren, lakonisch-pointierten Stil moderne Befindlichkeiten und historische Verwerfungen seziert‹, begründete das Kuratorium des Preises seine Entscheidung für die seit Langem in Berlin lebende Autorin. Die Mitbegründerin und Sprecherin der Schriftstellervereinigung PEN Berlin stehe somit ganz in der Tradition jenes aufgeklärten Humanismus, den auch Jakob Wassermann repräsentiert habe.« LINK

Bayern 2, Kultur am Morgen, Gespräch von Christoph Leibold mit Eva Menasse, 10. März 2023: »Es ist gerade so ein unangenehmer Zug in den Debatten. Antisemitismus würde ich das nicht nennen. Ich glaube eher, dass man mit dem Vorwurf des Antisemitismus heute oft zu schnell zur Hand ist. Es ist nicht alles Antisemitismus, was dem einen oder der anderen unangenehm ist. Aber da beginnt schon das komplizierte Feld: Wir haben weiterhin und ungebrochen immer diese zehn Prozent Antisemiten seit immer schon. Also das ist eine Prozentzahl, die gemessen wird, die nicht weggeht. Und wir haben durch das Internet und die Aufheizung und die Möglichkeiten der Vervielfältigung von Hasspropaganda haben wir den Antisemitismus  wachsend.« AUDIO

Dankesrede von Eva Menasse zur Verleihung des Jacob-Wassermann-Literaturpreises, 12. März 2023: »Was in Deutschland heute schmerzlich fehlt, ist eine Wahrnehmung für die Vielfalt jüdischer Positionen. Vermutlich war das sogar zu Jakob Wassermanns Zeiten besser. Dass ›die Juden‹ irgendetwas meinen, verbieten wollen oder für antisemitisch halten, ist nämlich unter anderem einfach eine antisemitische Trope. Daran arbeiten leider einige heutige jüdische Meinungsführer mit, die sich durchsetzen wollen, indem sie anderen ihr Jüdischsein absprechen, oder ihr Linkssein, wahlweise auch ihr Deutschgenugsein. Aber vielleicht – wenn ich versuche, optimistisch zu sein – stecken wir einfach mitten in einer Übergangszeit, mit den üblichen schrillen Verwerfungen.« LINK

Nürnberger Nachrichten, Bericht von Matthias Boll, 12. März 2023: »Statt die wirklich wichtigen gesellschaftlichen Aufgaben nicht aus dem Blick zu verlieren, habe sich ein Klima breitgemacht, das die ›sehr viel ungemütlicheren Fakten‹ über Rechtsradikalismus negiere zugunsten pathetischer Phrasen, die ›so oft geschwungen‹ würden. Anspielend auf den Eklat bei der Kasseler Documenta im Vorjahr, kritisiert Menasse, dass ›schlechte, dumme Kunst‹ in weiten Teilen der Öffentlichkeit umstandslos als antisemitisch bezeichnet werde, während zur gleichen Zeit ›Reichsbürger‹ Waffen sammelten, um ein Blutbad anzurichten.« LINK [€]

Nürnberger Nachrichten, Bericht von Thomas Correll, 14. März 2023: »Menasses Auftritt dauert eineinhalb Stunden, man würde ihr auch doppelt so lange zuhören. Sie erzählt Anekdoten aus ihrem Leben, nimmt Stellung zu politischen Fragen, zwischendurch gibt sie eine Kostprobe aus ihrem ersten Roman ›Vienna‹. Sie spricht, liest und schreibt gleichermaßen intelligent und originell. (…) Derzeit schreibt sie einen Essay über die ›asozialen Medien‹, von denen sie sich fernhält, und darüber, welche Dinge es zu retten gilt aus der Zeit vor der Digitalisierung. Der zwischendurch und besonders am Ende aufbrandende Applaus zeigt: Er wird auch in Franken freudig erwartet.« LINK [€] 

Gedenkfeier zu 80 Jahre Rosenstraße

Rede von Eva Menasse anlässlich der Gedenkfeier zu 80 Jahre Rosenstraße, 6. März 2023: »Wäre meine Großmutter während der harten Kriegsjahre durch Unfall oder Krankheit gestorben, hätte es das sofortige Todesurteil für meinen Großvater bedeutet. (…) Ich sage das, weil es heute eine ungute Tendenz gibt, quasi rückwirkend Arierpässe auszustellen oder sich eine jüdische Identität zuzulegen, je nachdem, welche Positionen der anderen in bestimmten politischen Fragen nicht oder besonders gefallen. Und ich sage das vor allem, weil doch gerade der absurde Tanz um die Mischehen, gerade die Willkür der nationalsozialistischen Verbrechen zeigen, dass sich Menschen niemals sauber nach irgendwelchen Kriterien einteilen lassen und dass wir im Gegenteil eine solche Weltsicht vehement zurückweisen müssen. LINK

Zum Tod von Heinrich Peuckmann

KNA, Nachruf, übernommen u.a. von der Frankfurter Allgemeinen, 4. März 2023: »Peuckmann war zuletzt während des Streits um den kurzzeitigen PEN-Präsidenten Deniz Yücel in die Schlagzeilen geraten. (…) Yücel wandte sich vom PEN ab und gründete mit Mitstreitern den PEN Berlin. ›Sein Tod erschüttert‹, erklärte der Präsident des PEN-Zentrums Deutschland, José F. A. Oliver am Samstag. ›Wir verdanken ihm viel.‹«  LINK

Zur gerichtlichen Verfügung gegen »Sinn und Form« 

Süddeutsche Zeitung, Bericht von Wolfgang Janisch und Jens-Christian Rabe, 1. März 2023: »Der Berliner Akademie der Künste ist vom Landgericht Berlin vorläufig untersagt worden, die Literaturzeitschrift Sinn und Form herauszugeben. (…) Auf der vorerst unterlegenen Seite, bei der Literaturzeitschrift Sinn und Form, ist die Aufregung entsprechend groß: ›Die literarische Landschaft wäre eine andere und ärmere, wenn es sie nicht mehr gäbe. Die Bedrohung redaktionell unabhängiger Kulturzeitschriften ist auch eine Bedrohung der demokratischen Öffentlichkeit.‹ (…) Der ›Angriff‹ von Lettre International richte sich ›gegen die Vielfalt des literarischen Lebens, das nicht nur marktwirtschaftlicher Logik folgt, sondern auf privates und öffentliches Engagement angewiesen ist‹. Unter den bislang über 80 Unterzeichnern der Stellungnahme finden sich große Namen wie Daniel Kehlmann, Peter Sloterdijk, Jonathan Landgrebe, Ulrich Matthes, Robert und Eva Menasse.« LINK [€]

Nachtkritik, Bericht, 1. März 2023: »Die tieferliegende Frage, ob der Staat überhaupt auf dem Markt der freien Presse aktiv werden dürfe, wurde von dem Landgericht nicht beantwortet. Das Grundgesetz untersagt dem Staat jede Verzerrung des publizistischen Wettbewerbs. Zugleich obliege der Akademie die ›Repräsentation des Gesamtstaates auf dem Gebiet der Kunst und Kultur‹. Weitere gerichtliche Instanzen werden hier zu befinden haben, ob dazu auch die Herausgabe einer intellektuellen Zeitschrift gehört.« LINK

Zum Thema »zeitgemäße Anpassungen« in literarischen Werken 

Welt TV, Gespräch von Fanny Fee Werther mit Deniz Yücel, 22. Februar 2023: [Werther]: »Jetzt hat ein Sprecher des Verlages gesagt, der Leitsatz bei der Überprüfung von Roald Dahls Texten sei es gewesen, dabei die ›scharfkantige Art‹ des Originals beizubehalten.« [Yücel:] »Naja, ein Wort wie ›fett‹ zu streichen oder ›verrückt‹ zu streichen… Es gibt eine Stelle im Original, da geht es um die Protagonistin. Das heißt es: ›Sie fuhr mit Joseph Conrad auf Segelschiffen aus alten Zeiten. Sie reiste mit Ernest Hemingway nach Afrika und mit Rudyard Kipling nach Indien.‹ Und dann wird Rudyard Kipling, ein englischer Nobelpreisträger, der heute kaum noch bekannt ist, ersetzt durch ›mit John Steinbeck nach Kalifornien‹, um den Kolonialismusverdacht rauszunehmen. Außerdem wird Jane Austen reingeschrieben, damit es auch nach Geschlechtern ausgeglichen ist – das ist keine zurückhaltende Anpassung, das ist so angepasst, wie man das heute für korrekt halten würde. Und das finde ich falsch. Denn Literatur ist immer auch ein Zeugnis ihrer Zeit.« VIDEO

Welt, Glosse von Deniz Yücel, 9. März 2023: »Ein kleiner Ausblick auf kommende Neuausgaben, auf die wir uns schon freuen dürfen: (…) Adolf Hitler, ›Mein Kampf‹: Das Hauptwerk des Führers, jetzt endlich ohne jeden Antisemitismus, Imperialismus und ohne dieses ganze nicht mehr zeitgemäße Rassenzeug. Der Verlag erwog zwischenzeitig sogar, einen weniger aggressiv wirkenden Titel zu wählen (›Meine Ambition‹), verzichtete jedoch aus Gründen der historischen Authentizität darauf. Garantiert diskriminierungsfrei und unbedenklich. Auf kompakten 12 Seiten!« LINK [€]

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